MY FAIR LADY – Bad Gandersheim 2023

Frischer Wind für einen Klassiker!

Premiere: 30. Juni 2023 – besuchte Vorstellung: 05. Juli 2023

Foto: Julia Lormis
Foto: Julia Lormis

MY FAIR LADY, ein zeitloser Klassiker, der in den letzten Jahren vermehrt kritisch betrachtet wurde. Warum, mag sich der ein oder andere fragen, doch in Zeiten von „Me too“-Bewegung wirkt dieses Musical voller Geschlechterklischees. Aber mit etwas Fingerspitzengefühl kann man diesen Klassiker entstauben. Bei den mittlerweile 64. Gandersheimer Domfestspielen bringt Intendant und Regisseur Achim Lenz diesen Klassiker auf die Bühne vor der Stiftskirche. Gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Ferdinand von Seebach und den Dramaturgen Jennifer Traum und Prof. Hanns-Dietrich Schmidt ist dem künstlerischen Team eine gewisse Frischzellenkur für dieses Musical gelungen und dennoch bleibt es in einigen Bereichen der Geschichte historisch treu.

Foto: Julia Lormis

Das Musical basiert auf Shaws Theaterstück „Pygmalion“ (1912) und bringt sozialistische und feministische Absichten der Zeit zum Ausdruck. Die Frau ist in der Gesellschaft benachteiligt, aber auch jene Personen aus der Arbeiterklasse, wie es Elizas Vater ist. Im Kern dreht sich aber vieles um die Sprache und das die Sprache, den Menschen zu dem macht, was er ist. Eliza Doolittle ist ein einfaches Blumenmädchen mit einer ordentlichen Portion Straßenjargon in ihrer Mundart. Henry Higgins und Oberst Pickering werden in Londons Straßen auf sie aufmerksam und wetten – wenn Higgins es innerhalb von 6 Monaten schafft aus Eliza eine feine Dame mit einer ordentlichen Wortwahl und Artikulation zu machen, dann bezahlt Pickering ihm die gesamte Ausbildung plus Bonus. Dies gelingt Higgins, aber nach dem Diplomatenball ist Eliza auf einmal weg. Higgins stellt fest, dass er sich in das Projekt „Eliza“ verliebt hat, aber hat er sich auch als ewiger Junggeselle in die Frau Eliza verliebt? Diese wiederum lernte beim Pferderennen in Ascot Freddy kennen, dieser ist über beide Ohren in Eliza verliebt und wartete mehrere Tage vor der Tür auf sie. Für wen wird sich Eliza am Ende entscheiden? Für den jungen charmanten und aufmerksamen Freddy oder für den biederen, in seinem Rollendenken (“Kann eine Frau nicht sein, wie ein Mann?”) versteiften Henry? 

Anders, als man es von bisherigen MY FAIR LADY Inszenierungen gewohnt ist, entfällt zu Beginn das Spiel der Ouvertüre und anderen sinfonischen Zwischenspielen. Dies liegt daran, dass Ferdinand von Seebach eine komplett neue Partitur geschrieben hat. An der Stiftskirche ist für ein großes Orchester kein Platz, somit wurde die Musik für eine kleine Jazzband (Klavier, Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug, 2 Saxophone, Trompete) neu arrangiert. Der Sound ändert sich vom klassischen-operettenhaften zum swingenden-modernen. So wirkt z.B. Elizas (Miriam Schwan) „Warts nur ab Henry Higgins“ sehr poppig, fast schon in die Richtung Hip Hop/Rap gehend und andere Songs, die im Original einen Marschrhythmus haben, nun sehr groovig.

Foto: Julia Lormis

Dadurch boten sich auch Choreografien (Dominik Müller) an, die passend zur spielenden Zeit des Musicals, den Charlston wieder aufleben ließen. Aber auch Flamenco- und Salsa-Schritte („Es grünt so grün“) konnte man den Choreografien entnehmen. Die Choreografie zu “Mit nem kleenen Stückchen Glück” lässt einen ein wenig an die Schornsteinfeger von MARY POPPINS erinnern.

Die Ausstattung von Sandra Becker fokussiert sich auf ein großes Portrait von Eliza, welches Dreh und Angelpunkt der Inszenierung ist. Das Portrait hält zudem ein paar Überraschungen parat, wenn z.B. aus dem Bund ein roter Teppich gezogen wird. Wichtige Requisiten, wie das Grammophon oder ein Tisch dürfen nicht fehlen. Die Kostüme (Assistenz: Yupanqui Ramos) passen historisch in die Zeit um 1912.

Darüber hinaus wird MY FAIR LADY in Bad Gandersheim in einer kleinen Besetzung dargeboten. Einen zusätzlichen Chor und Tänzer*innen gibt es nicht. Die vier Ensembledarsteller*innen Nadine Kühn, Jessica Trocha, Dominik Müller und Ben Ossen komplettieren die Cast rund um die Hauptrollen und schlüpfen in die verschiedensten Rollen. Ob feine Dame in Ascot, Blumenmädchen in London oder Trinkfreunde von Elizas Vater Alfred P. Doolittle (Sven Olaf Denkinger), alle vier können dabei auf sich aufmerksam machen. 

Die Hauptrollen waren fast alle so besetzt, wie man es sich vorstellt. Miriam Schwan als Eliza, Guido Kleineidam als Mr. Higgins, Frank Bahrenberg als Oberst Pickering oder Johannes Kiesler als Freddy.

Foto: Julia Lormis

Einzig Mrs. Pearce tanzte hier, sprichwörtlich aus der Reihe, denn mit Dirk Hinzberg in dieser Rolle hätte es eigentlich Mr. Pearce heißen müssen. Um aber den Rollentausch perfekt zu machen, blieb es bei Mrs. Pearce. Hinzbergs Aura auf der Bühne ließ einen an eine Mrs. Danvers erinnern. Ein Blick oder eine Geste und man nahm ihm die gesamte Bandbreite von liebenswürdig bis streng ab. Er ließ es sich auch nicht nehmen in Ascot für die akustischen Tonsignale zu sorgen. Zurecht erhielt er an diesem Abend den lautesten Applaus.

Foto: Julia Lormis

Das Spielzeitmotto „Uns blüht was“ ist in der Inszenierung all gegenwärtig. So wird der Diplomatenball mit großen Veilchenblumen bestückt und der Hinweis, dass man Eliza als Blumenmädchen auf der Landesgartenschau ausfindig gemacht hat, durfte natürlich nicht fehlen. Dadurch vermischen sich aber auch der Spielort der Geschichte mit dem realen Spielort.

Ein Besuch in Bad Gandersheim lohnt sich. Die gekürzte Version setzt neue frische Akzente und kann vor allem durch das musikalische Arrangement überzeugen. Aber Achtung, in Bad Gandersheim wird ohne Pause gespielt! Vor der Show und auch nach der Show laden die heimischen Gastronomen zum Essen oder Absacker trinken ein.

CAST & CREW

  • Regie: Achim Lenz
  • Dramaturgie: Jennifer Traum, Prof. Hanns-Dietrich Schmidt
  • Ausstattung: Sandra Becker
  • Choreografie: Dominik Müller
  • Regieassistenz: Tomas Stitilis
  • Kostümassistenz: Yupanqui Ramos
  • Musikalische Leitung: Ferdinand von Seebach
  • Musiker: Stephan Genze, Sebastian Gerhartz, Richard Häckel, Hans-Dieter Lorenz, István Szarka, Martin Werner
  • Eliza Doolittle: Miriam Schwan
  • Henry Higgins: Guido Kleineidam
  • Alfred Doolittle: Sven Olaf Denkinger
  • Oberst Pickering: Frank Bahrenberg
  • Mrs. Pearce: Dirk Hinzberg
  • Mrs. Higgins: Ellen Kärcher
  • Freddy Eynsford-Smith: Johannes Kiesler
  • Ensemble: Nadine Kühn, Jessica Trocha, Dominik Müller, Ben Ossen

Tickets und weitere Informationen unter www.gandersheimer-domfestspiele.de!

IMPRESSIONEN VOM SCHLUSSAPPLAUS

Wir bedanken uns bei den Domfestspielen Bad Gandersheim für die Einladung!


Artikel: Anna-Virginia