Musical: Der Graf von Monte Christo – Lüneburg 2023/24

Thomas Borchert erneut als Edmond Dantes

Foto: Andreas Tamme

Premiere & rezensierte Vorstellung: 11. November 2023

Der erste Abenteuerroman den ich noch bevor ich ein Teenager war las, war Alexandre Dumas´ „Der Graf von Monte Christo“. Der Roman entführt seine Leser nach Frankreich, in das erste Viertel des 19. Jahrhunderts. Die Revolution, in dessen Folge Ludwig XVI. und Marie Antoinette ihren Kopf verloren hatten, schien sehr weit weg. Napoleon Bonarparte war durch die Revolution aufgestiegen und mittlerweile auf Elba – und genau hier verband Dumas´seine fiktive Geschichte mit der echten. Der junge Seemann Edmond Dantès kommt mit der Geschichte in Berührung und wird zu Unrecht inhaftiert. Nach Jahren kann er fliehen und sinnt auf Rache. Dabei behilflich ist ihm ein unermesslicher Schatz, welchen er quasi von seinem Mitgefangenen und Mentor Abbé Faria “erbt”. Als der geheimnisvolle Graf von Monte Christo kehrt Dantés zurück und verfolgt sein Ziel, sich an den Verschwörern, die ihn in den Kerker brachten, zu rächen.

Ich gebe zu, mein erster Kontakt mit der Geschichte war die Verfilmung mit Richard Chamberlain aus dem Jahr 1975. Seither habe ich viele Verfilmungen des Stoffes gesehen, wovon die genannte, die mit „Fantomas“ – Darsteller Jean Marais aus dem Jahr 1954 und die mit Louis Jordan als Edmond Dantes von 1961 mir am meisten im Kopf blieben. Jeder dieser Filme fasst andere Facetten des umfangreichen Romans auf. 1998 gab es einen TV-Vierteiler mit Gerard Depadiéu, welcher sich dem Roman sehr detailreich widmete. 2009 feierte die Musical-Bühnenfassung des Stoffes am Theater St. Gallen Premiere, die bildlich viel von der Verfilmung aus 2002 in Erinnerung bringt. Bekannt für sein Faible, Roman-Schätze der Abenteuer-Grusel-Literatur als Musical umzusetzen, hatte sich Frank Wildhorn nun diesem Roman zugewandt. Zudem wurde dieses Stück Thomas Borchert auf den Leib bzw. die Stimme geschrieben. Dieser brillierte bereits als Dr. Jekyll/Mr. Hyde und Graf Dracula in den bekannten Musical-Adaptionen von Wildhorn.

Am 11. November 2023 feierte “Der Graf von Monte Christo” nun am Theater Lüneburg Premiere. Intendant Hajo Fouquet ist es zudem gelungen, Thomas Borchert in der Rolle des Grafen zu besetzen. Dies war unter anderem möglich, weil Intendant und Darsteller sich aus alten Zeiten bei der Produktion „Buddy Holly – das Musical“ in Hamburg kannten. So kommen Liebhaber von Borcherts Stimme und Darstellungen wieder in den Genuss, ihn im eigens auf ihn zugeschnittenen Musical zu sehen.

Foto: Andreas Tamme

Während des Prologs stehen Mercedes und Edmond in schwarze Mäntel gekleidet hinter einem großen Pendel, welches wohl unweigerlich die Zeit symbolisieren soll. Mit den beiden beginnt die Inszenierung von Wolfgang Berthold, welches einen gebrechlichen Dantés (Thomas Borchert) und eine ihn mit ihrem traurigen Blicken folgenden Mercédes (Navina Heyne) zeigt. Beendet wird dieses traurige und dunkle Bild mit dem Liebesschwur des Paares „Ein Leben lang“. Sich dies schwörend tanzt das Paar, in weißer Hochzeitskleidung, sich an den Händen haltend über die Bühne. Diese füllt sich gleich darauf mit der Verlobungsgesellschaft, unter denen sich der Vater von Dantés, sein Arbeitgeber, der Reeder Morrel (Eric Keller) und auch die Männer befinden, die das Verderben des jungen, aufstrebenden Seemans bedeuten. Danglars (Oliver Hennes), der es auf den Posten des Kapitäns der Pharao abgesehen hatte, welcher nun Edmond zugesprochen wurde und Fernand Mondego (Gerd Achilles), der Cousin von Mercedes, welcher sich nach ihr verzehrt. Sie machen sich zu Nutze, dass der verstorbene Kapitän der Pharao Dantés mit der Übergabe eines Briefes vom verbannten Napoleon  an einen Mittelsmann in Marséilles betraut hatte. Fast wäre Edmond freigekommen, denn der aufstrebende Staatsanwalt de Villefort (Steffen Neutze) erkennt die Unschuld in den Aussagen des Beschuldigten. Im letzten Moment, bevor Dantés gehen kann, fragt ihn der Anwalt nach der Person, dem der Brief übergeben werden soll. Die Antwort lässt de Villefort dann doch den unschuldigen Dantés in das Chateau dif verfrachten.

Während dem nun folgenden Lied „Geschichte“ wurde während der Premiere der Ton endlich verständlich, waren doch zuvor der Prolog-Text und besonders „Hebt das Glas“ des Ensembles bei der Verlobungsfeier völlig unverständlich. Das Zusammenspiel zwischen Ton und den hervorragenden Lüneburger Symphonikern trübte den Auftakt des Musicals doch sehr. Doch nun kam das Zusammenspiel langsam in Fahrt.

Um es mit den Worten von Intendant Fouquet zu Beginn der Premierenfeier zu sagen: „Ganz wichtig an so einem Abend ist der Ton – unser Haus ist da schon relativ gut. Wir kriegen es einigermaßen hin, dass es an fast allen Plätzen möglichst ähnlich klingt. Da sind wir auch noch mal auf einem Weg, der wird aber auch noch mal ein bisschen Geld kosten aber das was wir können, das machen wir richtig gut!“. Dieser Satz spielte auch auf den Umstand an, dass die Stadt Lüneburg vorhat, die Musiktheatersparte und somit die Lüneburger Symphoniker aus Kostengründen abzuschaffen. Dies war ein großes Thema an diesem Abend. Jedoch sind die Jahre 2024, 2025 und 2026 wohl erst einmal gesichert und in dieser Zeit schaut man weiter, was man tun kann, um eine endgültige Streichung zu verhindern. Nun aber zurück zu „Der Graf von Monte Christo“.

Foto: Andreas Tamme

Das Bühnenbild ist überwiegend in schwarz gehalten. Videoprojektionen im Hintergrund helfen dabei, den jeweiligen Ort des Geschehens, zum Beispiel mit tosenden Wellen das Meer, zu untermalen. Dafür hat Cornelia Brunn sich bei den Kostümen umso mehr mit Farben, Formen und Schnitten ins gestalterische Zeug legen können. Die Schneiderei hat hier wieder einen tollen Job gemacht und die Entwürfe sehr gut umgesetzt. Besonders gefällt mir immer in Lüneburg, das man die Kostüme von Größe XS bis Größe XL auf der Bühne bewundern kann.

So schwankt das Stück in der Ausstattung zwischen den opulenten Chorbildern und den ruhigeren Momenten mit nur zwei oder drei Protagonisten auf der Bühne. Die Lieder „Niemals allein“ (Edmond, Mercédès), „Jeder Tag ein kleiner Tod“ (Edmond, Mercédès, Mondego), „Unterricht“ (Abbé Faria, Edmond) und „Könige“ (Faria, Edmond) folgen. Im letzteren träumen Edmond und der Priester davon, wie ihr Leben in Freiheit aussehen wird, wenn sie erst den Schatz gefunden haben. Am Ende dieses Teils stirbt der Priester und das ist die Chance für Edmond zu entkommen. Nun bauen die Bühnentechniker, wie schon das ganze Stück über die Bühne öffentlich für die nächste Szene um, was nicht schlimm ist. Dennoch erhält die Inszenierung hier einen Minuspunkt.

Sascha Littig, eben noch in seiner Rolle als Abbé gestorben, steht auf und geht von der Bühne. Meeresrauschen und plötzlich liegt ein schwer atmender Edmond auf der Bühne und rote Seile fallen vom Himmel – dieser Moment fühlte sich reichlich unfertig an. Natürlich ist es schwer umzusetzen, eine Flucht wie sie im Buch beschrieben wird, auf der Bühne zu zeigen. Greift man jedoch auf andere Inszenierungen zurück, gibt es weitaus bessere Lösungen.

Mit den eben vom Bühnenboden gefallenen Seilen, entern die Piraten rund um Luisa Vampa die Bühne. Mit „Piraten – Wahrheit oder Wagnis“ (Luisa Vampa, Edmond, Ensemble) kommt nun Leben in das Stück. Luisa Vampa wurde wunderbar durch Franziska Ringe dargestellt. Die Choreographie dazu, von Olaf Schmidt, erinnert hier an die von „Supercalifragelisticexpialigetisch“-Choreo aus MARY POPPINS und lockert die Atmosphäre auf.

„Wie mich die Welt umarmt“ zeigt Mercedés in ihrem Käfig, denn sie hat ihren Cousin Fernand geheiratet. Doch dieser ist zu einem Spieler verkommen und die Ehe ist überhaupt nicht glücklich. Gerd Achilles schafft es durch seine schleichenden Bewegungen, welche er schon am Anfang in der Rolle zeigt, Mondego als einen Mann darzustellen, den man absolut nicht leiden mag. Navina Heyne kann hier einmal mehr überzeugen.

Mit „Tanz die Tarantella“ (Kurtisanen) wird der Pomp gezeigt, den sich der Graf von Monte Christo aufgebaut hat um Gerüchte zu streuen, damit er ein Mythos für den Adel in Paris wird. Das Finale vor der Pause zeigt, wie er die Verschwörer in ihren langsamen Ruin locken will. Während „Hölle auf Erden“ (Edmond) lässt er seinen Vertrauten Jacopo Dunglas als ersten mit Geld locken, die anderen beiden folgen ihm, doch Monte Christo hält die Fäden in der Hand und die Männer wissen nicht wie ihnen geschieht.

Die zweite Hälfte beginnt beim Karneval in Rom, während dessen Monte Christo sich seinen Weg in die elitäre Gesellschaft bahnt. Die Erzählung umfasst einen Zeitraum von rund 20 Jahren und spielt zeitgleich zu der Geschichte von LES MISERABLES. Somit sind hier mehrere Generationen in der Geschichte verwoben. Und so sieht es auch auf der Bühne selbst aus. Neben den erfahrenen Darstellern stehen zwei junge Darsteller, aus den Riegen des Chores, als Kinder von Mercedés/Mondego und dem Staatsanwalt von Villefort auf der Bühne. Anton Frederik von Mansberg als Albert und Pia Naegli können sehr gut mit den „Großen“ mithalten.

Mit ein zwei kleinen Eckpunkten, die mir als Zuschauer aus meiner Sichtweise nicht gefallen haben, verbrachten wir dennoch einen schönen Theaterabend. Die Bühne wird zum Schauplatz für eine mitreißende Geschichte, die von Verrat, Intrigen und der Suche nach Gerechtigkeit erzählt. In einem Theater und mit einem Team, welches vor, hinter und auf der Bühne sein Bestes gibt. Wir brauchen solche Orte, wie das Theater Lüneburg, gerade abseits der großen Städte, die uns diese Geschichten zeigen. Gerade und erst recht als Musiktheater – und wie immer sollte sich jeder seine eigene Meinung bilden und wenn man die Möglichkeit hat, selbst nach Lüneburg fahren und sich die dortige Inszenierung von DER GRAF VON MONTE CHRISTO ansehen.

DER GRAF VON MONTE CHRISTO ist bis zum 01. März an ausgewählten Daten im Spielplan des Theaters zu finden. Tickets gibt es direkt beim Theater Lüneburg oder online unter www.theater-lueneburg.de.

CAST & CREW

Musikalische Leitung: Gaudens Bieri
Inszenierung: Wolfgang Berthold
Bühnen- und Kostümbild: Cornelia Brunn
Choreographie: Olaf Schmidt
Fechtchoreographie: Axel Hambach
Edmond Dantès: Thomas Borchert a. G.
Mercédès: Navina Heyne a. G.
Abbé Faria: Sascha Littig a. G.
Fernand Mondego: Gerd Achilles a. G.
Gérard von Villefort: Steffen Neutze
Baron Danglars: Oliver Hennes
Luisa Vampa: Franziska Ringe a. G.
Jacopo: Andrea Marchetti
Albert von Morcerf: Anton Frederik von Mansberg
Valentine: Pia Naegeli
Morrel: Eric Keller
Kommissar: Falk Steingräber
Opern- und Extra-Chor des Theater Lüneburg, Leitung Elsine Haugstad
Lüneburger Symphoniker

Wir bedanken uns beim Theater Lüneburg für die Einladung!


Artikel von Nathalie