West End – Ian McKellen
Ein Abend mit Sir Ian McKellen „Shakespeare, Tolkien, Others & You“
Die letzte Station meines London Theater-Marathons war das 2013 eröffnete Park Theatre außerhalb des Londoner Stadtzentrums in Finsbury Park. Anderthalb Stunden stand ich bangend vor dem ausverkauften, mit nur 200 Plätzen recht kleinen, Haus. Die begehrten billigen day seats waren innerhalb von Sekunden vergriffen gewesen. Immerhin war ich die erste auf der Warteliste. Aber wird eines der wenigen Tickets zurückgegeben? Und wenn ja, zu welchem Preis? Als Charity-Veranstaltung bewegen sich die Preise immerhin zwischen 10 und 195 Pfund!
Unterstützern wie Ian McKellen ist es zu verdanken, dass das Theater, das als Charity ohne kommunale oder staatliche Förderung auskommen muss und jährlich auf Spenden in Höhe von circa einer Viertelmillion Pfund angewiesen ist, Bestand hat und seinem Publikum ein hochwertiges und abwechslungsreiches Programm bieten kann.
Es ist bereits das dritte Soloprogramm in der Karriere von Ian McKellen: 1976 spielte er „Words, Words, Words“ und 1977 „Acting Shakespeare“, beides in Edinburgh. Inzwischen hat er in unzähligen Filmen und Theaterstücken gespielt und ist einem breiten Publikum bekannt. Umso begehrter also auch die Karten. Aber endlich, kurz vor Beginn der Vorstellung, im übervollen Foyer des Parktheaters, das vor Vorfreude und Spannung knistert, umgeben von Häppchen und Wein servierenden jungen Frauen und Männern, bekomme ich das erlösende Kopfnicken. Ja, es wurde ein Ticket zurückgegeben!
Ich kann mein Glück kaum fassen, als mich der Platzierer – für Unkundige scheint es unmöglich zu sein, das System aus scheinbar willkürlich gewählten Buchstaben und Zahlen auf meinem handgeschriebenen Ticket zu durchschauen – an meinen Platz führt. Erste Reihe!
Der Saal ist klein und intim. In der Mitte eine Bühne, von drei Seiten mit Sitzen umgeben, jeweils nur eine handvoll Reihen und ein schmaler Rang.
Es wird dunkel. Aus der erwartungsvollen Stille heraus ertönt eine Stimme. Eine Stimme, die uns allen bekannt ist und auf die wir alle voller Vorfreude gewartet haben. Und der Text: Herr der Ringe! Es wird hell und Ian McKellen fährt fort, aus dem Buch „Der Herr der Ringe“ von Tolkien zu lesen. Kein großer Auftritt, keine Starallüren. Sir Ian McKellen ist, wie sich den ganzen Abend über immer wieder zeigt, absolut bodenständig und unglaublich sympathisch.
Natürlich kommt dann doch der Moment, an dem wir uns begeistert klatschend und jubelnd aus unseren Stühlen erheben. Gerührt lächelnd winkt Ian McKellen ab. Später am Abend verrät er uns, wie verhasst ihm dieser Moment als Zuschauer immer ist. Und wie ganz anders er ihn erlebt, wenn er selbst auf der Bühne steht.
Berührungsängste mit dem Publikum hat er keine. Das zeigt er gleich zu Beginn, als er sich einen jungen Mann aus dem Publikum holt, ihm Gandalfs Schwert in die Hand und den Hut auf den Kopf drückt und mit ihm für ein Foto posiert. Es soll nicht die einzige Interaktion mit dem Publikum bleiben.
Über zwei Stunden unterhält er das Publikum. Spielt, singt (!) und erzählt aus seinem Leben, von Aufführungen, Oscar-Verleihungen und dem ein oder anderen Fettnäpfchen, das er mitgenommen hat. Schließlich lässt er uns alle Shakespearestücke in alphabetischer Reihenfolge aufzählen und kommentiert, erzählt oder spielt etwas dazu. Wir erleben ihn als Hamlet, Romeo, Julia, Witwe Twankey (aus „Aladdin“) und viele mehr.
Besonders freue ich mich, Texte aus Romeo und Julia und einen (nicht DEN) Monolog aus Hamlet zu hören, da diese mir von meinen vorhergehenden Theaterbesuchen noch im Ohr klingen. Lächelnd lädt er uns in seinen Pub „The Grapes“ (mit Charles-Dickens-Zimmer) zum Quiz-Montag ein und bringt uns vor allem immer wieder zum Lachen.
Da es bereits die letzte Vorstellung war, bittet er die Mitarbeiter des Park Theatre am Ende mit auf die Bühne. Die Veranstaltungen zu Gunsten des Theaters haben die dringend benötigte Viertelmillion Pfund eingespielt! Noch einmal gibt es eine kleine Zugabe, bei der das Park Theatre Team gleich als Komparsen mit eingespannt wird und dann verschwindet Ian McKellen so unauffällig und bodenständig, wie er gekommen ist.
Der Abend verging wie im Fluge und wir gehen beschwingt und mit einer Flasche des Ian McKellen Souvenir-Weines nach Hause. Ein Autogramm habe ich nicht bekommen, aber dafür entdecke ich ein paar Tage später ein Foto des Park Theatre, auf dem Sir Ian McKellen und ich zu sehen sind.
Ich kann mich dem Zuschauer nur anschließen, der aus dem Theater tretend zu seiner Frau sagt: „This was a treat!“ („Das war ein Vergnügen!“).
Artikel von Anne