„Theater machen heißt, einem interessierten Publikum Geschichten zu erzählen“
Ein Interview mit Alexander Franzen
Wie bist Du zum Berufswunsch Musicaldarsteller gekommen?
Mein Vater war ein international gefragter Opernsänger. Ich bin also ein Theaterkind, FIDELIO und ROSENKAVALIER mit 2 Jahren live in der Oper und so Geschichte. Außerdem habe ich 2 Jahre in San Francisco gelebt und habe dort die Bedeutung des Musicals für die Amerikaner erlebt und gespürt. Dadurch, dass ich dann auch noch den Sky Masterson in GUYS AND DOLLS spielen durfte in einer High School-Produktion war ich wohl schon sehr geprägt, als es dann später darum ging, an welcher Hochschule ich mich denn wohl gerne für welches künstlerisches Studium bewerben würde.
Welche Bedeutung hat das Musical denn in Amerika im Vergleich zu Deutschland?
Insgesamt ist das Musical in Amerika wohl viel mehr mit der kulturellen Selbstwahrnehmung des Landes verknüpft. Oper ist, wie die Malerei (weniger die Literatur!!) etwas Elitäres. Das Musical hingegen verbindet alle Schichten (jeder kennt die großen Filme und Stücke!). Dadurch ist Musical gesellschaftlich gesehen, etwas extrem „Amerikanisches“: nämlich etwas „Verbindenes“. In Europa ist der Spott über dieses Genre immer noch unverhohlen. Mir ist das immer etwas peinlich, wenn sich Menschen vom Theater so äußern. Denn sie betreiben dadurch eine unangebrachte Ausgrenzung. „Theater machen“ heißt, einem interessierten Publikum Geschichten erzählen zu wollen. Das gelingt mit Kleist, Mozart oder Wildhorn oder es scheitert mit denselben. Wenn ich Wildhorn nicht spielen will, dann lass ich es besser. Insofern hat Musical in Deutschland auch quasi keine gesellschaftliche Relevanz, da es ja selbst um seine künstlerische Anerkennung kämpfen muss. Da es das in Amerika nicht braucht, gehört es dort dementsprechend zur kulturellen Vielfalt und gilt selbstverständlich sowohl als künstlerischer Spiegel der Gesellschaft, als auch als Unterhaltung und Geschäft.
Was macht für Dich den besondern Reiz des Musicaldarstellers aus?
Für mich persönlich und meine Begabung ist das der sprach-theatralische Bereich, der ja zum Beispiel in der Oper ansonsten keine ausgeprägte Beachtung findet. Ich finde es aber auch atemberaubend, welche zum Beispiel tänzerischen Fähigkeiten manche Kollegen, mit denen ich auf der Bühne stehen darf, besitzen.
Es gibt sehr viele Auditions, ist es für Dich einfach, sich jedes Mal neu zu motivieren und zum Vorsingen/sprechen zu gehen?
Nein überhaupt nicht. Wenn das Ziel klar ist, kommt die Motivation von selbst.
Gibt es einen besonderen Ausgleich, den du zu Deinem musikalischen Bühnen Leben gefunden hast oder beschäftigt die Musik Dich auch privat?
Ich habe das Glück, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Ansonsten sind Familie, Haus, Garten „Ausgleich“ genug für mich. Aber selbstverständlich sind Musik und Theater ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens und nicht nur Hobby.
Wer berät Dich bei deiner Rollenauswahl?
Ich habe mit Matthias Gentzen einen hervorragenden Agenten, mit dem ich vor allem auch persönlich bestens harmoniere, so dass wir bei Angeboten bis ins letzte Detail gemeinsam Absprachen treffen. Außerdem berate ich mich mit meiner Familie und ausgewählten Kollegen.
Der Beruf des Musicaldarstellers bedeutet auch teilweise körperlichen Einsatz, wie hältst du Dich für die Bühne fit?
Gymnastik. Leichtes Krafttraining. Durch üben (singen), da genau das tatsächlich eine enorme körperliche Anstrengung darstellt. Gartenarbeit.
Du hast beide Seiten von Produktionen (Long-run und Stadttheater) kennengelernt. Welches der beiden ist Deiner Meinung nach die bessere Form, Musicals dem Publikum zu präsentieren?
Ich bin und war immer entschieden für Abwechslung und Repertoire-Vielfalt. Ich war schon sehr früh in der glücklichen Situation, immer mindestens 2 Stücke parallel spielen zu dürfen. Selbst wenn ich, wie bei FALCO MEETS AMADEUS, die Hauptrolle in einer Ensuite-Produktion spielte, lief nebenher noch eine WEST SIDE STORY und COMEDIAN HARMONISTS. Rollenprofile beeinflussen sich gegenseitig und verhelfen zur Farberweiterung einer Rolle repektive Gesangspartie, Zu lange in einer Funktion zu agieren macht uns oft blind für unsere anderen Möglichkeiten. Das ist emotional und arbeitstechnisch gesehen fast unvermeidbar. Ich habe Verständnis dafür, mir persönlich ist das aber zu heikel. Wie gesagt, durch andere berufliche Umstände wurde ich dankenswerterweise nicht allzu oft in Versuchung geführt bzw. in die Situation gebracht.
Du hast mit „Adressat unbekannt“ von Kressmann Taylor einen Briefroman über das Ende einer deutsch-amerikanischen Freundschaft in der NS-Zeit als Solo-Stück herausgebracht. Was hat Dich dazu bewogen?
Zum einen suchten der Regisseur Thomas Winter und ich schon lange nach einem Monologstück. Zum anderen ist es tatsächlich so, dass ich aus einer Familie stamme, die ein großes politisches Bewusstsein hat, das auch an mir nicht spurlos vorüber gegangen ist. Theater als Möglichkeit nicht nur zu unterhalten, sondern zum gesellschaftlichen Diskurs zu motivieren, halte ich für sehr erstrebenswert. Die Für-und-Wider-Argumente, die so ein Satz auslösen kann, sind mir natürlich bekannt. Insofern waren wir von vielen, noch weiteren Seiten, sehr glücklich, als uns der kurze Briefroman in die Hände fiel. Das Resultat der Umsetzung in einen Ein-Mann-Schauspiel-Abend und vor allem seine abendliche Zuschauerresonanz geben der Idee wohl Recht. Es ist ein Riesenerfolg, natürlich in bescheidenen Rahmen, da es ein Kammerstück ist.
Wer dieses Stück gesehen hat, hat vielleicht das Bedürfnis mit Dir als Darsteller darüber zu diskutieren. Gibt es nach der Vorstellung die Gelegenheit dazu?
Jederzeit und immer. Ich mag das eh gerne. Kontroverse Debatten mag ich.
Wie sieht die Reaktion der Zuschauer aus?
Ich hoffe, man glaubt mit meine demütige Freude, wenn ich sage, dass es ein Riesenerfolg ist. Die Menschen gehen nachdenklich und begeistert nach Hause.
Was ist für Dich das vollkommene Glück?
Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage und je länger ich über eine Antwort nachgrübele, umso mehr habe ich das Gefühl, dass die Antwort zu privat sein würde. Aber ich bin dankbar und glücklich, dass es meinen Liebsten gut geht, dass sie gesund sind, genauso wie ich selbst. Und ich bin dankbar für das viele Glück, das mir in meinem Leben bisher so unaufhörlich widerfahren ist.
Was würdest Du als Bundeskanzler sofort ändern?
Ich hätte viele idealistische Ideen, die der sozialen Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit gelten würden. Mir mangelt es allerdings an Machthunger und ohne den wirst Du nicht Bundeskanzler. Deshalb versuche ich eher im Privaten zu helfen und zu verändern. Meine eigene Lebensanschauung wird dabei auch ständig überprüft.
Gibt es noch Rollen, die Du unbedingt spielen willst?
Sweeny Todd, Tevje, Don Quijote, Rollen die ich noch nicht spielen durfte. Higgins bitte unbedingt noch einmal oder auch zweimal. IN der Oper gäbe es noch ein paar Partien….
Welche Partien in der Oper würden Dich denn noch reizen?
Ich fühle mich immer noch in der Oper sehr zu Hause (und singe in meinem Übezimmer übrigens auch gerne noch diverse Partien durch!) – allerdings eigentlich nur noch deutsches Fach (Wagner, Strauss etc.). DAs hängt mit der gewonnenen „Schwere“ der Stimme zusammen, aber auch mit meiner Textarbeitsfreudigkeit und Artikulation. Eine tolle Herausforderung wäre der BECKMESSER in Richard Wagners Meistersingern von Nürnberg. Und auch nochmal alle drei Schubert-Liederzyklen „Schöne Müllerin“, „Winterreise“ und „Schwanengesang“.
Was können wir in der Zukunft von Dir erwarten?
Diese Spielzeit bringt im Frühjahr noch die UA von Molecule/ MOLEKÜL am Theater Bielefeld. Nach STARRYMESSENGER (2004) und BIRDS (2010) die 3. Uraufführung eines William-Murta-Musicals, in dem ich mit einer Hauptrolle bedacht werde/ wurde. Das erfüllt mich mit großem Stolz, Freude und Demut, da ich Murta in seinen Funktionen als Musiker, Dirigent, pianistischer Begleiter und Komponist wahnsinnig schätze und er außerdem ein wundervoller Mensch ist.
Davor gibt es im Winter noch eine Produktion an der Oper Köln: CANDIDE, wo ich wieder als Pangloss, Voltaire etc, das Stück antreiben werde.
Für 2017/2018 laufen bereits Verhandlungen mit St. Gallen und Augsburg.
Wir danken Alexander Franzen für das Interview und wünschen Ihm für die Zukunft alles Gute!
Von Michaela