„Wüstenblume“ – Weltpremiere des Musicals am 22.2.2020 in St. Gallen

Das Musical erzählt die Geschichte von Waris Dirie, dem Nomadenmädchen, das zum Topmodel und zur UN-Sonderbotschafterin wurde. Buch und Film wurden Welterfolge. Aber kann eine Geschichte wie diese auch auf einer Musicalbühne ein Erfolg werden?

Die Handlung

Waris wurde mit 5 Jahren beschnitten, mit 13 flüchtet sie vor der Zwangsverheiratung mit einem viel älteren Mann aus ihrem Dorf und schlägt sich zu Fuß durch die Wüste von Somalia nach Mogadischu durch. Sie wird in Mogadischu von ihrer dort lebenden Schwester als Dienstmädchen ausgebeutet. Später reist sie mit einem Onkel, der somalischer Botschafter in London ist, dorthin, nur um wieder als Dienstmädchen arbeiten zu müssen.

Die Botschaft verlassen kann Waris nicht, die Sprache oder lesen lernen darf sie nicht. Als der Onkel abberufen wird und sie aus der Botschaft flüchtet, entdeckt sie erst, in welcher Stadt sie überhaupt gelebt hat. Aber sie hat kein Geld und keinen Pass. Bei McDonald‘s findet sie als Putzfrau eine schlecht bezahlte Arbeit, da der Chef ihr immer sagt, sie sei ja als Illegale da und könne froh sein, überhaupt eine Arbeit zu bekommen. Doch eines Tages spricht sie ein Mann an, der sie fotografieren will. Er steckt Waris seine Visitenkarte zu und sie lernt Marylin kennen, die zu ihrer besten Freundin wird.

Waris, das Mädchen aus der Wüste, wundert sich sehr, wie großzügig man in London mit Wasser umgeht. Mit dem Lied von der „Wüstenblume“ erzählt Waris ihrer Freundin davon, wie sich die Völker der Wüste über Regen freuen und wie nur dann die Wüstenblume zu blühen beginnt.

Dank Marylin lernt Waris London kennen, doch es gibt etwas, das die beiden Frauen gravierend unterscheidet. Marylin möchte Sex mit Männern zum Vergnügen, aber der Gedanke entsetzt Waris. Sie glaubt fest daran, dass alle Mädchen beschnitten und zugenäht sind und nur der Ehemann sie öffnen darf. Das Duett zwischen Marylin und Waris („So wirst du Frau“) zeigt die kulturellen Unterschiede auf. Beide singen vom Sex mit einem Mann, doch während die eine Freude und Spaß damit verbindet, verbindet die andere damit unbeschreiblichen Schmerz und die Erinnerung an eine alte Frau, die sie mit Rasierklingen verstümmelt hat. Die Folgen dieses grausamen Rituals bringen sie als junge Frau in ein Londoner Krankenhaus.

Durch einen Zufall entdeckt Marylin die Visitenkarte des Fotografen wieder und überzeugt Waris, zu Probeaufnahmen dort hinzugehen. Der Fotograf ist von Waris begeistert, vermittelt sie an eine Agentur und schon bald ist Waris ein begehrtes Fotomodel.

Doch ein kleines Problem gibt es noch. Da sie zu Terminen oft ins Ausland reisen muss, benötigt sie dringend einen Reisepass, denn eigentlich ist sie immer noch illegal in London. Die Agentur arrangiert für Waris die Hochzeit mit dem Schotten Malcom O’Sullivan, der das Geld gut für seine Trunksucht gebrauchen kann. Bei der Trauung auf dem Standesamt kippt er prompt um.

Doch als die Einwanderungsbehörde kommt, um die Ehe zu überprüfen, rettet er die Situation. Er erklärt mit einem hinreißenden Lied, dass seine schöne Frau der Lichtblick in seinem Leben ist. Die Ehe wird als gültig anerkannt.

Von nun an steht der Karriere des Topmodels Waris Dirie nichts mehr im Wege. Sie reist durch die Welt und wird überall gefeiert. Eine besondere Ehre ist, dass Waris zur UN-Botschafterin wird. Mit ihrer flammenden Rede gegen die Beschneidung von Frauen vor der UN endet auch das Musical. „8.000 Mädchen“ heißt das Lied, denn 8.000 Mädchen werden jeden Tag irgendwo auf der Welt auf diese grausame Weise verstümmelt. Diese Szene verursacht jedem Zuschauer Gänsehaut.

Waris Dirie

Zur Premiere war Waris Dirie persönlich anwesend und von Emotionen überwältigt.

Dieses Musical, das sich mit einem so schwierigen Thema wie der Beschneidung von Frauen beschäftigt, ist ein gewagtes Experiment des Theaters. Doch die Inszenierung von Gil Mehmert kommt erstaunlich leicht daher, auch dank der poppigen Musik von Uwe Fahrenkrog-Petersen, der u.a. viele Lieder für Nena komponiert hat, sowie den Liedtexten von Frank Ramond.

Kerry Jean und Naomi Simmonds

  Besonders großartig sind die beiden Hauptdarstellerinnen Naomi Simmonds, die Waris als Mädchen spielt, und Kerry Jean als erwachsene Waris. Sie schaffen es, dass man als Zuschauer von Anfang an in der Handlung gefangen ist. Peinliche Momente gibt es nicht, dafür viele emotionale Augenblicke.

Auch das restliche Ensemble spielt überzeugend, wobei Jogi Kaiser als der betrunkene Schotte O’Sullivan, der optisch ein bisschen an Otto Waalkes erinnert, das Potential zum Publikumsliebling haben dürfte. Seine Liebeserklärung an Waris vor den Beamten der Einwanderungsbehörde ist einfach hinreißend.

Natürlich gibt es auch eine Modenschau. Dafür wurde der Orchestergraben geteilt und ein extra Laufsteg gebaut. Für die Zuschauer gibt es einige Plätze, die direkt an dem Laufsteg sind.

Ein wahrer Hintergrund

„Die Wüstenblume“ mag sich mit einem Thema beschäftigen, welches in unserem Kulturkreis vielleicht nicht ganz so verbreitet und bestimmt nicht populär ist, aber tatsächlich ist es ein wunderbares und gefühlvolles Musical über eine junge Frau, die aus der Wüste in einen völlig anderen Kulturkreis kommt, die nie aufgibt, hart kämpft und die als Topmodel Karriere macht und sogar UN-Sonderbotschafterin wird.

Und das Faszinierende ist, diese Geschichte entspricht der Wahrheit. Mit 18 Jahren wurde Waris Dirie von Terence Donovan entdeckt, der sie mit der damals ebenfalls noch unbekannten Naomi Campell für den Pirelli-Kalender fotografierte. Es folgten Fotoshootings für alle großen Modemarken überall auf der Welt. 1987 spielte Waris in dem James-Bond-Film „Der Hauch des Todes“ mit. 2002 gründete sie in Wien die „Desert Flower Foundation“ und erhielt 2004 von Michael Gorbartschow den „World Social Award“.

„Wüstenblume“, wie Waris aus der somalischen Sprache übersetzt heißt, ist ein hinreißendes Musical über eine großartige Frau.

In der Spielzeit 2019/ 2020 ist das Stück noch bis zum 03. Juni am Theater St. Gallen im Programm.

Text: Ingrid Kernbach
Bilder: Andreas J. Etter / Theater St. Gallen und Ingrid Kernbach

Künstlerisches Team

Musical von Uwe Fahrenkrog-Petersen und Gil Mehmert
Liedtexte von Frank Ramond
Orchestrierung von Alberto Mompellio
Arrangements und Musical Supervision: Koen Schoots

Musikalische Leitung – Christoph Bönecker
Inszenierung – Gil Mehmert
Choreografie – Jonathan Huor
Bühne – Christopher Barreca
Kostüm – Claudio Pohle
Licht – Michael Grundner
Video – Austin Switser
Ton – Stephan Linde
Dramaturgie – Caroline Damaschke

Besetzung
Waris Dirie – Kerry Jean
Waris (13) u.a. – Naomi Simmonds
Mutter / Tante Maruim u.a. – Terja Diava
Aman, Beamtin u.a. – Lara de Toscano
Vater, Onkel Mohammed u.a. – Cedric Lee Bradley
Marilyn, Hexe u.a. – Dionne Wudu
Veronica, Verkäuferin u.a. – Susanna Panzner
Dana, Chauffeur u.a. – Daniel Dodd-Ellis
Haji, Bräutigam u.a. – David Rodríguez-Yanez
Mr. Wheeler, McDonald’s-Manager u.a. – Tim Hüning
Terence Donovan, Regisseur u.a. – Markus Schneider
O’Sullivan, Malcom u.a. – Jogi Kaiser
Krankenschwester, Model u.a. – Amaya Keller
Maskenbildnerin, Model u.a. – Olivia Limina
Model, Passantin u.a. – Elise Doorn
Assistent, Model u.a. – Jurriaan Bles
Passagier, Model u.a. – Andreas Nützl
Händler, Bauarbeiter u.a. – Ben Cox
Kameramann, Model u.a. – Gianmarco Rostetter
Bauarbeiter, Musiker u.a. – Perry Sidi
Orchester – Wüstenblume-Band
Statisterie – Statisterie des Theaters St. Gallen