West Side Story – Theater St. Gallen, 01/2017
Am 28.1.2017 besuchte ich das Muscial „West Side Story“, ein Stück mit der Kultmusik von Leonard Bernstein (Texte Stephan Sondheim) und dem genialen Buch von Arthur Laurents, zum ersten Mal im Theater St. Gallen. Allein das Theater selbst ist ein Kunstwerk für sich, zwar sehr klein, aber dennoch strahlt es einen ganz persönlichen Charme aus. Mit guter Stimmung ging es also auf die entsprechenden Plätze. Anzumerken ist hierbei, dass man in den nur 13 Parkett-Reihen durch die besondere Bauweise des Theaters überall einwandfreie Sicht hat. Mit gewohnter Schweizer Pünktlichkeit verdunkelte sich auch schon um Punkt 19:30 Uhr der Saal und die Show konnte beginnen.
Die Show besticht neben den großartigen Darstellern vor allem durch eine schlichte originalgetreue Inszenierung. Das einfach gehaltene Bühnenbild erfüllt hierbei lediglich seinen unterstützenden Zweck als Ort des Geschehens und lenkt niemals durch überflüssige Requisiten oder übertriebene Special Effects die Aufmerksamkeit von der Handlung oder den Darsteller. Betreffend der Akustik auf der Bühne beziehungsweise im Theatersaal, wären noch kleine Verbesserungen möglich, denn immer wieder, vor allem wenn sich wenige Darsteller auf der Bühne befanden, hatte man das Gefühl, der Saal würde die Stimmen ein klein Wenig schlucken und den Darstellern damit einen Teil ihrer Ausdrucksstärke nehmen. Auch das Orchester hätte sein gewaltiges und stets perfekt harmonierendes Spiel an manchen Stellen etwas drosseln können, doch die Darsteller behaupteten sich stets bravourös gegen ihre Begleiter.
Wer nur den Kinoklassiker „West Side Story“ kennt, war möglicherweise bei ein paar wenigen Szenenabfolgen etwas verwirrt, da die Szenen teilweise in falscher Reihenfolge zu sein schienen, dazu muss man jedoch anmerken, dass hier die Original Broadway Bühnenfassung gespielt wird und somit keine Änderungen des Filmes enthalten sind. Die einzelnen Szenen gingen stets fließend und ohne störende Pausen in einander über und jeder Szenenwechsel wurde meist mit einer Reprise des vorhergehenden Songs instrumental untermalt. Bei der tadellosen Inszenierung von Melissa King ist vor allem die Szene zum Song „Somewhere“ hervorzuheben. Während sich Tony und Maria lieben, träumen sie von einer besseren Welt und einer heilen Zukunft, in der sie einen Platz für ihre Liebe finden. Dieser Traum wird dem Publikum als berührende Szene durch das ganz in weiß gekleidete Ensemble präsentiert und soll eine Welt zeigen, in der alle Menschen gleich sind und in Frieden miteinander leben, bis er ein jähes Ende durch die wieder einsetzende Realität findet.
Ein weiteres Highlight sind die fulminanten, sehr originalgetreuen Choreographien (Melissa King), welche durch ein frisches und vor Energie nur so sprudelndes Ensemble vorgetragen werden und immer wieder frischen Wind in die tragische Geschichte bringen. Alle Tänzer sind auf einem top Niveau und erschaffen eine einzigartige Verbindung aus präziser Technik und purer Lebensfreude. Ensemblemitglieder ebenso wie Hauptdarsteller, was mich zu den Hauptakteuren des Abends bringt.
Lisa Antoni und Andreas Bongard spielen das junge Liebespaar Maria und Tony. Lisa Antoni stellte ihr Können unter anderem schon in der Rolle der Mary Vetsera im Musical „Rudolf“ unter Beweis und wird demnächst in der Wiener Volksoper als Rosemary im Stück „How to succeed in business without really trying“ zu sehen sein. Doch vor allem ihr Bühnenpartner Andreas Bongard, der zurzeit im Musical Schikaneder (Ensemble/Cover Johann Friedel) zu sehen ist, präsentiert sich mit dieser Rolle als neuer Stern am Musicalhimmel.
Antoni spielt Maria mit starker Stimme und überzeugendem Spiel, speziell in den emotionalen Szenen des Stückes schafft sie es, den Zuschauer so in ihren Bann zu ziehen, dass es schwer wird, nicht vollkommen in Marias Gefühlswelt einzutauchen. Gepaart ist dieses Spiel mit einem hinreißenden puerto-ricanischen Akzent, der jedoch niemals übertrieben wirkt. Während der großen Tanzszene im „The Gym“ beweist sie außerdem, dass sie nicht nur wunderbar singen kann, sondern auch das nötige Temperament besitzt, um in schwungvollen Choreographien zu überzeugen.
Gegen seine starke Bühnenpartnerin wirkt Bongard zu Beginn des Stückes vielleicht etwas farbloser, jedoch entpuppt sich dies bloß als kleines „Warm werden“ und er findet sofort innerhalb des ersten Songs in seine Rolle. Er überzeugt von da an, als junger charmanter Tony mit ausdrucksstarkem und fantastischen Schauspiel. Seine Stimme ist stets präsent und er schafft es vor allem mit leisen, romantischen Tönen sich nicht nur in Marias Herz zu singen. Auch in den Tanznummern sieht man ihm seine exzellente Ausbildung an und er kann tadellos mit dem Ensemble mithalten.
Zusammen spielen die beiden ein zwischen Liebe, Verpflichtung und Zugehörigkeitsgefühl hin- und her gerissenes Paar, dessen Liebe leider ein tragisches Ende nimmt und sie harmonieren sowohl stimmlich als auch schauspielerisch perfekt.
Unterstützt wurden die beiden von nicht weniger großartigen Nebendarstellern, die für die Handlung genau so unerlässlich sind. „Ladies first“, beginne ich selbstverständlich mit der bezaubernden Sophie Berner (als Anita), welche mit ihrer kraftvollen, etwas tieferen warmen Stimme auf ganzer Linie überzeugt und mit Lisa Antoni im Duett super funktioniert. Schauspielerisch gibt sie gerade in den späteren Szenen alles und bietet dem Publikum eine Bandbreite an Gefühlen, die mitten ins Herz gehen. Dass sie nicht die perfekteste Tänzerin der Gruppe ist, kann man ihr bei dem Talent ohne jeden Zweifel verzeihen. Ihr zur Seite gestellt als Anführer der Sharks und Marias Bruder Bernardo, ist Juriann Bles, dessen volles Potenzial, der Größe der Rolle geschuldet, leider etwas auf der Strecke bleibt. Doch mit seinem hochwertigen Tanztalent und dem überzeugenden Spiel als verbissener Anführer der Einwanderer, ist er mit einer der wichtigsten Personen in diesem Musical.
Auf der Seite der amerikanischen Jets beweist sich Jörn-Felix Alt als Oberhaupt der jungen Wilden und sticht vor allem durch seine markante Stimme immer wieder heraus. Außerdem repräsentiert er Riff mit Willensstärke und Ausdruckskraft über den gesamten Zeitraum der Show.
Abgerundet wird die Riege der Hauptdarsteller von einem perfekt abgestimmten Ensemble, welches tänzerisch, spielerisch und auch gesanglich einen wunderbaren Rahmen und ein starkes Fundament für die Produktion bildet. Auch im Einzelgesang können viele der jungen Männer und Frauen in kurzen Textpassagen ihre Stärken zeigen und sich von ihrer allerbesten Seite präsentieren.
Abschließend kann ich sagen, dass das Theater St. Gallen mit „West Side Story“ eine wunderbare Produktion mit viel Herzblut und fantastischen jungen Darstellern auf die Bühne gebracht hat, welche sofort dazu verleitet, noch einmal zu kommen. Ich jedenfalls würde es jeder Zeit wieder tun.
Artikel von Rebecca