Thunerseespiele 2024 – Mary Poppins
Werd´ ich sie dieses mal fliegen sehen?
Premiere & rezensierte Vorstellung: 10. Juli 2024
Das Musical MARY POPPINS basiert auf einer Mary Poppins Kinderbuchreihe von P. L. Travers und der gleichnamigen Disneyverfilmung von 1964. Das Musical wird erstmals auf der Thunerseebühne aufgeführt. Eine wunderschöne Naturkulisse umrahmt das Bühnenbild. Die Bühne ist stets so aufgebaut, dass man den See, die Berge und das Schiff, das während der Vorstellung an der Bühne vorbeifährt, gut sehen kann. Die einzige unberechenbare Variante in Thun ist das Wetter. In der Vergangenheit saß ich schon mit Regenjacke im Publikum und sah Uwe Kröger beim «Besuch der alten Dame» über die nasse Bühne tanzen. Allerdings gibt es jeweils -für Termine, die wegen des Wetters abgesagt werden müssen- wöchentliche Ersatztermine. Auch werden vom Sponsor COOP Regencapes verteilt. Am Abend der Premiere waren die Bedingungen aber perfekt.
Meine erste MARY POPPINS Erfahrung machte ich im Jahre 2017. Den Kinderfilm hatte ich nie gesehen. Aufgrund der guten Rückmeldungen saß ich dann im Herbst 2017 im Theater 11, um mir MARY POPPINS einmal anzusehen. Ich war positiv überrascht. Tolle Bühnendekoration, tolle Darsteller:innen und Mary Poppins flog sogar zum Schluss mit ihrem Schirm Richtung Himmel. Dies jedoch hatte ich leider nicht gesehen – sondern nur vermutet. Ich hatte aus Spargründen einen der hintersten Plätze gebucht und sah leider nicht, wie das Kindermädchen im Himmel verschwand, weil der Balkon mir das Sichtfeld verdeckte. Das ärgerte mich ein bisschen.
Ein Jahr später tauchte das Kindermädchen in Hamburg auf. Ich mobilisierte eine Freundin und wir schauten uns die dortige Aufführung an. Ganz gespannt saß ich im Sessel und wartete auf die letzte Szene, in der Mary mit ihrem Regenschirm davonfliegen sollte. Der gelang ja ganz gut, doch dann gab es wohl eine Windflaute im Stage Theater an der Elbe. Frau Poppins hing wie ein schlecht aufgehängtes Bettlaken an ihrem Schirm und bewegte sich weder vor noch zurück. Dann kam eine Regieanweisung, dass man mit der nächsten Szene fortfahren würde. Schon wieder wurde ich um meinen Regenschirmflug gebracht.
Deshalb war ich mehr als aufgeregt, ob dies am Thunersee dieses Mal klappen würde. Die Thunerseespiele dürfen als erste Bühne überhaupt MARY POPPINS Open Air inszenieren, d.h. diese Produktion ist vollkommen frei vom originalen Kreativteam. Somit dürfen Kürzungen im Skript vorgenommen werden, aber auch neue Kostüme, Choreografien oder neue Charakterentwicklungen angegangen werden.
Auf der Gästeliste der Thunerseespiele 2024 stehen einige Prominente schweizerische Politiker:innen, Sportler:innen und Sänger:innen, als auch Schauspieler:innen und Musicaldarsteller:innen. Auf dem roten Teppich sah man unter anderem Stefanie Heinzmann (Sängerin), den Bundesrat Albert Rösti, Comedian Marco Riema, Fussballtrainer Hanspeter Latour und viele mehr.
Die Geschichte
Die Geschichte von Mary Poppins spielt kurz vor dem ersten Weltkrieg in London. Der Bankangestellte George Banks und seine Frau Winifred sind mit der Erziehung ihrer beiden Kinder Jane und Michael völlig überfordert. Wie schon so oft hat das Geschwisterpaar es geschafft, dass das Kindermädchen kündigt. Die Kinder formulieren eine Stellenanzeige für ihr Wunschkindermädchen, doch Mr. Banks zerreißt diesen Zettel.
Eines Tages steht Mary Poppins mit genau dieser Stellenanzeige vor der Tür der Familie Banks. Mary Poppins bekommt die Stelle. Sie hat einen anderen Erziehungsstil als ihre Vorgängerinnen und schnell wird sie von den Kindern akzeptiert. Sie ist liebevoll und konsequent und wenn die Kids nicht gehorchen wird auch mal mit Magie gearbeitet.
Mary Poppins bindet die Kinder singend und fröhlich in die Hausarbeit ein. Sie geht mit den Kindern in den Park und zeigt ihnen, dass man -wie die Vogelfrau- auch mit wenig Geld glücklich sein kann. Die Kinder bekommen von ihrem Vater vorgelebt, dass der Status sehr wichtig ist. Dementsprechend ist es für die zwei schwierig nachzuvollziehen, mit einfachen bzw. armen Menschen befreundet zu sein.
Mary Poppins stellt Michael & Jane ihren Freund Bert, den Schornsteinfeger vor. Mit ihm erleben sie einige Abenteuer. Mal auf den Dächern, mal bei den Sternen und einmal im Park.
Die Kinder können sich kaum vorstellen, dass ihr Vater auch mal jung war und gerne Drachen steigen lassen hat. Mary möchte dem Vater seine Kinder wieder näherbringen. Mr. Banks ist nicht begeistert, als die drei auf seiner Arbeit auftauchen.
George Banks muss auf seiner Arbeit entscheiden, welchem Kunden er einen Kredit gibt. Mr. Von Hussler einem dubiosen Geschäftemacher oder Mr. Northbrook, einem Mann mit gutem Herz aber wenig Sicherheiten. Eine unschuldige Frage seiner Kinder bringt ihn dazu, Mr. Northbrook den Kredit zu geben. Mr. Hussler geht zu einer anderen Bank und verdient dort Millionen. Der Vorstand der Bank macht George Vorwürfe.
Mary Poppins verlässt die Familie Banks, weil «der Wind sich gedreht hat». Die Kinder sind noch nicht bereit, sich helfen zu lassen. «Nirgendswo stößt man so auf taube Ohren, wie bei einem Kind, das alles besser weiß».
Die Banks stellen das alte Kindermädchen Mrs. Andrew von George an. Sie versucht mit Krautsaft und Fischöl die Kinder zu bändigen. Doch nicht nur die Kinder haben Angst vor Mrs. Andrew. Auch George ist sichtlich eingeschüchtert vor dem «Höllenhund». Sowohl die Kinder als auch George verlassen das Haus. Winifred Banks sucht ihre Familie und beschliesst, sich stärker für die Menschen einzusetzen, die sie liebt. Mary kehrt nach Hause zurück und vertreibt das alte Kindermädchen mit ein wenig Magie.
George Banks erwartet, bei der Bank gekündigt zu werden. Er rechtfertigt sein Handeln und betont, wie wichtig seine Familie ist. Doch anstatt einer Kündigung erhält er eine Beförderung. Seine Kreditvergabe hat sich nämlich als richtig erwiesen.
Mary Poppins hat ihren Auftrag erfüllt. Die Familie ist wieder zusammengewachsen. Neben einem Abschiedsbrief hat sie in den Herzen der Familie viel Liebe und Verständnis für einander dagelassen.
Meine Meinung:
Die Inszenierung von Matthias Davids am Thunersee mit Alexandra-Yoana Alexandrova als Mary Poppins, Christopher Bolam als Bert, Johanna Zett als Mrs. Banks und Patrik Imhof als Mr. Banks hat auf ganzer Linie überzeugt. Auch die Nachwuchsmusicaldarsteller:innen Karin Anreiter und Victor Delaquis haben ihre Rollen als Jane & Michael Banks fantastisch gespielt.
Es gefällt mir immer, wenn wie hier in Thun ein großes Orchester spielt. Dieses wurde hervorragend von Iwan Wassilevski dirigiert.
Alexandra-Yoana Alexandrova war die ideale Besetzung für die magische Rolle der Mary Poppins. Sie zog das Publikum mit Charisma und Energie in ihren Bann, dass für Alexandrova diese Rolle eine Traumrolle war, spürt man in jeder Sekunde.
Ein Gänsehautmoment an diesem Abend war für mich die Szene als Christopher Bolam als Bert auf den Dächern von London zwischen den rauchenden Schornsteinen das Lied „Chim Chiminey“ performte. Christopher Bolam versteht sein Handwerk und berührte mich sehr mit seiner Performance. Die rauchenden Schornsteine, unterm freien Himmel, über dem Thunersee gefielen mir noch viel besser als in den bisher angeschauten Produktionen innerhalb der Theater.
Johanna Zett durfte die Rolle der Winifred Banks weiterentwickeln. Mrs. Banks wirkte emanzipierter als man es in den 1930er-Jahren vielleicht erwartet hätte. Sie tanzte sogar zu einem der letzten Songs -als Mr. Banks befördert wurde- mit den «Moves» von «Macarena (Los del Rio)». Das schaffte noch einen weiteren Bezug in die aktuelle Zeit und wirkte auf das Publikum sehr erfrischend.
Patrick Imhof schaffte es, die Rolle des George Banks überzeugend darzustellen.
Jacqueline Braun, die sowohl die Vogelfrau als auch die Rolle der Haushälterin Mrs. Brill verkörperte, konnte die vielfältigen Emotionen der Figuren authentisch übermitteln. Die Szene der Vogelfrau vor der St. Pauls’ Cathedral spielte am rechten Rand der Bühne mit einer Kirchenminiatur. Bühnentechnisch gesehen war das gut gelöst aber für mich bekam diese imposante Szene nicht ganz so viel Bedeutung, wie sie verdient hätte.
Die beiden Kinderdarsteller haben ihre Rolle als Michael und Jane perfekt verkörpert. Ich frage mich, wie lange sie wohl für die Supercalifragilisticexpialigetisch-Choreographie üben mussten. Karin Anreiter (Jane) musste während der Vorstellung ein paar Mal husten. Ehrlich gesagt, dachte ich, es gehörte zur Aufführung und Mary Poppins würde gleich ihr Löffelchen Zucker auspacken, um ihr Hustenmedizin zu geben.
Auch als der fliegende Drachen des kleinen Michael sich in der Regenschirmbühne verhedderte, wurde dies vom Schornsteinfeger Bert elegant und professionell gelöst. Er erntete dafür einen Zwischenapplaus vom Publikum.
Bühnenbild
Eine große Herausforderung in Thun ist es nämlich ein Bühnenbild zu konzipieren. Zu Beginn der Thunerseespiele – ich war zum ersten Mal 2005 bei MISS SAIGON – waren die Bühnenbilder minimalistisch. Es wurde gesagt, dass der See die Hauptkulisse sei. Der Thuner See ist für mich einer der schönsten Orte, die ich kenne. Trotzdem gehört ein schönes Bühnenbild für mich zu einer gelungenen Inszenierung dazu. Das ist dieses Mal perfekt gelungen.
Die Bühne stellt den aufgeklappten Regenschirm von Mary Poppins dar. Dies sieht man am besten aus den hintersten Sitzreihen. Man sollte die Pause tatsächlich dazu nutzen, die Atmosphäre in Thun von ganz oben wahrzunehmen. Im Regenschirm gab es Platz für einen Dachbereich mit Schornsteinen, die tatsächlich rauchten. Die linke Seite des Regenschirms zeigte das Kinderzimmer von Jane und Michael. Auf der anderen Seite sah man die Kirche, vor der die Vogelfrau ihr Futter verkaufte. Sehr eindrücklich fand ich es, als dieses Szene kam und ein Schwarm Vögel über den Bühnenbereich flog. Es dauerte etwas um festzustellen, dass das ein paar wahrscheinlich musicalbegeisterte Vögel waren und kein geplanter Showeffekt.
Die Küche der Familie Banks war in die Bühne integriert und wurde herausgezogen. In der Mitte der Bühne fand man das Wohnzimmer der Familie. Ein rundum gelungenes Freilicht-Bühnenbild mit schönen Effekten.
Was ich ein wenig schade fand: in den vorherigen Produktionen wurde die Stellenanzeige, die die Kids verfassten in einen Kamin geworfen und durch den Schornstein zu Mary Poppins gewirbelt. Diese Szene fehlte mir ein wenig.
Die Show dauerte inkl. Pause 2 ½ Stunden und wurde mit Standing Ovations gefeiert.
Eine Frage ist für Euch als Leser jetzt noch offengeblieben. Ist Mary Poppins am Ende mit ihrem Schirm in Thun davongeflogen? Die Antwort lautet: Schaut Euch diese supercalifragilisticexpialigetische Aufführung einfach selbst an. Der Wind steht auf jeden Fall gut und ein bisschen Disney-Magic darf auch in Thun nicht fehlen.
Tickets für MARY POPPINS in Thun gibt es direkt unter www.musical.ch! Bereits vor der Premiere wurde veröffentlicht, was es 2025 auf der Seebühne zu sehen gibt. Vom 09. Juli bis 23. August 2025 geht es von London nach Paris zum GLÖCKNER VON NOTRE DAME.
Cast & Crew:
- Regie: Marthias Davids
- Regieassistenz & Abendspielleitung: Kristian Lucas
- Choreografie: Kim Duddy
- Bühnenbild: Andrew Edwards
- Kostümbild: Aleš Valášek
- Musikalische Leitung: Iwan Wassilevski
- Mary Poppins: Alexandra-Yoana Alexandrova
- Bert: Christopher Bolam
- Winifred Banks: Johanna Zett
- Geroge Banks: Patrick Imhof
- Jane Banks: Karin Anreiter
- Michael Banks: Victor Delaquis
- Miss Andrew: Kim Reizevoort
- Miss Lark / Miss Smythe: Cécile Gschwind
- Mrs. Corry / Queen Victoria: Kaatje Dierks
- Mrs. Brill / Vogelfrau: Jacqueline Braun
- Admiral Boom / Bankdirektor: Joel Parnis
- Polizist: Nathan Saxon
- Robertson Ay: Leon De Graaf
- Neleus: Loek Meijer
- John Northbrook: Sebastian Prange
- Ensemble: Shane Landers, Andrea Viggiano, Tjesse Bleijenberg, Nils Axelsson, Anastasia Stojko, Hanna Kastner, Noa Joanna Ryff, Marina Petkov, Ellie van Gele
- Swing Rollen: Gabriele Bruschi (Dance Captain), Denise Jastraunig, Anastasia Bertinshaw
Wir bedanken uns bei FBM Entertainment für die Einladung!
Artikel von Susanne
Hinweis: Die zwei Kinderrollen als Jane und Michael Banks werden abwechselnd von acht Kindern zwischen 9 und 15 Jahren aus der Region gespielt.