Theater Dortmund – Sweeney Todd 2024/2025

Das perfekte Pastetenrezept beschert dem Theater Dortmund ein neues Musicalhighlight

© Björn Hickmann

Premiere & rezensierte Vorstellung: 12. Oktober 2024

Lange sah es für den Musicalstandort Ruhrgebiet so düster aus wie in Sweeney Todds Londoner Fleet Street. Ein großes Musicalhaus nach dem anderen wurde geschlossen und die Corona-Jahre trugen auch nicht gerade dazu bei die Menschen ins (Stadt-)Theater zu locken. Oft mussten Musicalfans aus NRW weite Wege in Kauf nehmen, wenn sie jenseits der bekannten Dauer-Long-Run-Stücke mal etwas Neues auf der Bühne sehen wollten. Glücklicherweise hat sich das inzwischen geändert und man kann mittlerweile an vielen Theatern im und rund um den Ruhrpott tolle Musicalproduktionen erleben, die denen der großen Anbieter in nichts nachstehen. Einen besonderen Namen hat sich dabei in jüngster Zeit vor allem das Theater Dortmund gemacht, das zuletzt mit seiner RENT- Inszenierung zahlreiche Musicalfans aus der ganzen Republik anlockte. Längst hat sich in Musicalkreisen herumgesprochen, dass man in Dortmund gutes Musical macht, erst Recht, wenn dabei für den Posten des Regisseurs der Name Gil Mehmert auftaucht. Dementsprechend waren die Erwartungen an die SWEENEY TODD-Inszenierung hoch  – und, um dies gleich vorweg zu nehmen, wurden glatt übertroffen, denn Mehmert hat zusammen mit seinem Team und einer grandiosen Cast genau das richtige Rezept gefunden, um die Geschichte des dämonischen Barbiers aus der Fleet Street auf die Bühne zu bringen.

Die Handlung des 1979 uraufgeführten Musical-Thrillers von Stephen Sondheim ist, nicht zuletzt auch Dank der Tim Burton-Verfilmung aus dem Jahr 2007,  einem breiten Publikum bekannt und sorgt immer wieder in den verschiedenen Theatern dafür, dass den Zuschauern wohlige Gruselschauer über den Rücken rieseln: Dem Barbier Benjamin Barker wird durch den Richter Turpin, der rücksichtslos seine eigenen lüsternen Interessen in Gestalt von Barkers Frau Lucy verfolgt, alles genommen, was ihm lieb und teuer ist. Als er nach 15 Jahren Verbannung aus Australien nach London zurückkehrt, muss er annehmen, dass seine Frau inzwischen tot ist und erfährt, dass ausgerechnet Turpin seine Tochter Johanna als Pflegetochter adoptiert hat. Von Rache getrieben, wird er zum Mörder, indem er seinen Opfern bei der Rasur die Kehle durchschneidet. Bei der Entsorgung der Überreste erhält er tatkräftige Unterstützung von Mrs. Lovett, die heimlich schon lange ein Auge auf Todd geworfen hat und nun als clevere Geschäftsidee in ihrer Pastetenbäckerei fortan ganz besondere Pasteten produziert. Unterdessen verliebt sich der junge Seemann Anthony Hope, den Todd auf seiner Rückreise nach London kennengelernt hat, Hals über Kopf ausgerechnet in Johanna, die er unbedingt aus ihrer Gefangenschaft bei Richter Turpin retten möchte. Mrs. Lovett stellt den nach dem merkwürdigen Verschwinden von Todds Konkurrent Pirelli verwaisten Jungen Tobias Ragg als Gehilfen ein, der sie vergöttert und alles tun würde, um sie zu beschützen. Schließlich überschlagen sich die Ereignisse –  und am Ende gibt es jede Menge Tote…

Glücklicherweise kommt diese Inszenierung ohne literweise spritzendes Theaterblut aus, statt auf ekelerregende Horrorelemente legt  Mehmert klugerweise den Fokus auf die menschlichen Schicksale und rückt dabei insbesondere die Tragödie der Familie Barker in den Mittelpunkt. Das führt soweit, dass man als Zuschauer durchgehend Sympathie und Mitleid für Sweeney Todd empfindet und sogar ein gewisses Verständnis für seine mörderischen Gräueltaten aufbringt.  

© Björn Hickmann

Die düstere Atmosphäre Londons zur Zeit der Industrialisierung entsteht vor allem in der Fantasie der Zuschauer, geschickt unterstützt durch das Lichtdesign von Michael Grundner, dass die Bühne überwiegend in düstere Farben taucht. Nur wenn Sweeney seinen Opfern die Kehle aufschlitzt, leuchtet alles in einem blutroten Licht.

Das originelle Bühnenbild  von Jens Kilian wird dominiert von einem überdimensionalen riesigen Ofen in der Mitte der Bühne, der sich nach oben bzw. unten fahren lässt und den Raum für die einzelnen Schauplätze wie z. B.  Sweeneys Salon, Mrs. Lovetts Backstube und Wohnung oder Turpins Haus bietet. Nicht zuletzt wirkt er vor dem historischen Hintergrund betrachtet wie eine riesige (Todes-) Maschine, die aber auch gleichzeitig märchenhafte Assoziationen weckt, wenn Mrs. Lovett am Schluss dasselbe Schicksal ereilt wie die Hexe aus „Hänsel und Gretel“. Umrahmt wird dieser Ofen von einem nüchternen Geländer entlang der Bühnenwände, lediglich ein paar Zeichnungen auf weißem Grund deuten an, dass man sich im  London des 19. Jahrhunderts befindet.

Auch die Kostüme von Falk Bauer sind historisch angehaucht, allerdings durchaus mit symbolträchtigen Farben versehen. So trägt beispielsweise Tochter Johanna bis fast zum Schluss unschuldiges Weiß und Anthony Matrosenblau, während Richter Turpins, Sweeneys und Mrs. Lovetts Kostüme in schwarz und rot gehalten sind. Insbesondere Mrs. Lovetts knallrote Lackhandschuhe im 2. Akt machen mehr als deutlich, dass sie mit ihren Händen ein blutiges Geschäft betreibt.

Sondheims Musik, die sich irgendwo zwischen Oper und Musical bewegt, kommt Dank der Dortmunder Philharmoniker, am Premierenabend dirigiert von Koji Ishizaka, mit opulentem Klang über die Bühne, den man inzwischen in manchen großen Musicalhäusern vermisst.

Aber was wäre all’ das ohne eine Cast, die den Figuren auf der Bühne Leben einhaucht? In Dortmund hat man sich dazu neben namhaften Gästen der Musicalszene wie bereits bei vergangenen Inszenierungen StudentInnen der Folkwang-Uni ins Ensemble geholt, die gemeinsam mit dem Opernchor die Ereignisse kommentieren und wahlweise Passanten, Kundschaft etc. darstellen und kleinere Rollen übernehmen und damit vor allem in den Massenszenen mit den Choreografien von Yara Hassan nicht nur für einen Ohrenschmaus, sondern auch mit viel Schwung für einen Augenschmaus sorgen.

© Björn Hickmann

Die Haupt- und Nebenrollen sind perfekt besetzt. Fritz Steinbacher darf mit Pirelli und Mr. Fogg, dem Leiter der Irrenanstalt gleich zwei Fieslinge verkörpern und tut dies mit großer Spielfreude. Nina Janke streunt glaubhaft als Bettlerin über die Bühne, der man einerseits lieber nicht zu nahe kommen möchte, mit der man aber andererseits auch Mitleid empfindet, zumindest am Schluss.

Florian Sigmund verkörpert mit großartiger Bühnenpräsenz Büttel Bamford, nicht umsonst ist er für den Deutschen Musicaltheaterpreis 2024 nominiert. Andreas Laurenz Maier gibt den intriganten Richter Turpin mit soviel abstoßender Skrupellosigkeit, dass man ihm förmlich wünscht, dass Sweeney ihm die Kehle durchschneidet und so seinem Treiben endlich ein Ende setzt.

Julius Störmer ist ein rundum liebenswerter kindlich-naiver Tobias, der zunächst nicht recht versteht, was vorgeht, dann aber letztlich dem Geschehen eine überraschende Wendung gibt. Dabei gelingt ihm glaubhaft die Entwicklung vom kleinen Tobi zum Beschützer/Rächer für seine heißgeliebte Mrs. Lovett.

Harriet Jones als Johanna bewegt sich elfenhaft irgendwo zwischen der blonden gefangenen Märchenprinzessin – man fühlt sich zumindest in einer Szene irgendwie an die im Turm eingesperrte Rapunzel erinnert – und der jungen Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und ihrem ungeliebten Adoptivvater entfliehen will.

Jonas Hein verkörpert den schwärmerisch verliebten Anthony Hope so einfühlsam, mit so viel Gefühl und Hingabe, dass man gar nicht anders kann als ihn vom ersten Moment an ins Herz zu schließen und ihm ein Happy End mit seiner Johanna zu wünschen. Außerdem darf er mit seiner wundervollen Stimme „Johanna“, einen der schönsten Songs des Stücks, singen und damit auf berührende Art für Gänsehaut im Publikum sorgen.

© Björn Hickmann

Der Star des Abends ist aber Bettina Mönch als geschäftstüchtige Mrs. Lovett, die ohne schlechtes Gewissen Sweeneys Opfer zu Pasteten verarbeitet und nebenbei auch noch hemmungslos versucht, sich an Sweeney heranzumachen. Es ist einfach hinreißend, wenn sie sich ihm in eindeutiger  Absicht nähert und von einer gemeinsamen Zukunft mit ihm träumt oder gekonnt ihre Pasteten unter die Leute bringt. Eine absolute Idealbesetzung!

Genauso großartig besetzt ist Kammersänger Morgan Moody in der Titelrolle als Sweeney Todd, er verkörpert den mordenden Barbier nicht nur mit großer Stimme, sondern schafft es auch, stets den Menschen hinter dem Mörder Todd durchscheinen zu lassen, der seine Ehefrau und Tochter innig liebte bzw. noch liebt und den tragischen Verlust nicht überwunden hat. Er tötet nicht aus Lust am Gemetzel, sondern aus Rache und Verzweiflung und bleibt dabei stets sympathisch, so dass man als Zuschauer sein Handeln nachvollziehen und verstehen kann, genauso stellt man sich Sweeney Todd vor!

Fazit: Der Oper Dortmund ist eine herausragende SWEENEY TODD—Inszenierung gelungen, die sowohl Spaß macht als auch zum Nachdenken über die (eigenen) menschlichen Abgründe anregt. Ein richtiger Gaumenschmaus! Unbedingt anschauen!

Termine für SWEENEY TODD gibt es bis zum 21. April 2025 über den Spielplan verteilt. Tickets gibt es direkt über den das Theater Dortmund. Am 30. November gibt es vor der Vorstellung eine Tastführung für blindes und sehbeeinträchtigtes Publikum mit Voranmeldung und im Anschluss an diese Vorstellung gibt es im Foyer noch eine Pride Night Party. DJane Lana Delicious sorft für die Musik und Autogrammjäger*innen sollen ebenfalls auf ihre Kosten kommen.

 

Besetzung der Premiere

  • Sweeney Todd Ks. Morgan Moody
  • Mrs. Lovett Bettina Mönch
  • Anthony Hope Jonas Hein
  • Johanna Barker Harriet Jones
  • Tobias Ragg Julius Störmer
  • Richter Turpin Andreas Laurenz Maier
  • Büttel Bamford Florian Sigmund
  • Bettlerin Nina Janke
  • Adolfo Pirelli / Mr. Fogg Fritz Steinbacher
  • Ensemble Anna Teodora Donosa-Danila, Elena Franke, Albert Gaßmann, Jonathan Guth, Anna Hirzberger, Lino Kalich, Max Lochmüller, Timm Moritz Marquardt, Constanza Pérez de Lara Bonatti, Katalin Rohse, Alina Simon
  • Opernchor Theater Dortmund
  • Dortmunder Philharmoniker

Wir bedanken uns beim Theater Dortmund für die Einladung!


Artikel von Andrea Gänz

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