Sommer-Berlinale 2021 – Kino mal anders von Astrid Mathis
Berlinale im Sommer – merkwürdig! Nach Pressevorführungen im März durfte das Publikum im Juni endlich DAS Filmfestival in Berlin feiern. Mit Liegestühlen neben der Philharmonie anstatt im Berlinale-Palast nur wenige Meter entfernt. Mit aktuellem Corona-Testergebnis, wie es am Einlass verlangt wurde, Maske inklusive, spazierten die Gäste zu den Kinovorstellungen. Trotz Begrüßung durch die Festivalleitung war es einfach nicht dasselbe. Nicht nur, weil die Karten noch umkämpfter waren und die Partys ausfielen. Die veränderte Situation färbte auf die Stimmung ab.
Und was für ein Theater war es, sich allein schon Pressekarten zu besorgen! Auf die Anfrage per Mail kam nach der Premiere die Absage für die Premieren. Nach den Premieren fragte ich hoffnungsvoll für eine andere Vorführung an und bekam danach Antwort, Pressekarten gäbe es nur für die Premiere – ein Teufelskreis, bei dem man nicht gewinnen kann. So macht Kino keinen Spaß.
Es gelang mir, trotz widriger Umstände ein paar Glanzlichter zu sehen:
Maria Schrader: Ich bin dein Mensch – für einen Moment
von Astrid Mathis
Tja, wie fühlt es sich wohl an, den perfekten Menschen zu treffen?! Den Wunschpartner serviert zu bekommen wie das Lieblingsgericht? Alma weist ihn ab, diesen idealen Mann. Was soll sie mit einer Maschine? Nur zu Forschungszwecken erträgt sie das Experiment, die WG mit einem fremden Mann zu teilen. Herrgott noch mal! Wie sehr fällt ihr auf den Wecker, dass er alles besser weiß, dass er sich nicht lange einfühlen muss, dass er über den Dingen steht! Dieser Roboter ! Und doch! Irgendwann – zwischen Durchdrehen und Aufgabe – kann sie sich seinem Charme nicht entziehen. Für einen Moment.
Maren Eggert und Dan Stevens geben ein Paar ab, das spröde zueinanderfindet. Berlin mit neuen Augen sehen.
Christian Schwochow: Je suis Karl – nur nicht durchdrehen!
von Astrid Mathis
Man ist sofort hin und weg. Dieser Typ hat das gewisse Etwas. Und man kann das junge Mädchen so gut verstehen und will am liebsten vergessen, welch schreckliche Szene den Anfang des Dramas bestimmte: Maxi kehrt aus Frankreich zurück nach Berlin. Sie ist die Große, herzt ihre kleinen Zwillingsbrüder genauso wie Vater und Mutter und hat viel vor. Jedoch: Ihr Teenagerleben gerät aus den Fugen, als ein Paket im Haus ihrer Eltern explodiert. Alles aus. Auf Anfang! Maxi flieht vor der Presse, die darauf giert, Terroristen zu enttarnen und begegnet Karl. So liebevoll und unwiderstehlich, wie er ihr eine Jacke anbietet, so lockt er sie nach Prag und schließlich nach Wien. Dort kann, ja, soll! sie von ihrem Schicksal berichten und alle in ihren Bann ziehen. Längst weiß der Zuschauer, was hier gespielt wird. Wie quälend muss das für den Vater (großartig: Milan Peschel) sein, seine Tochter entgleiten zu sehen! Kann er sie retten?
Mitreißend und in höchstem Maße unangenehm baut Regisseur Christian Schwochow sein Filmdrama auf. Er hält dem Zuschauer unmissverständlich vor Augen: Das könnte auch vor unserer Haustür passieren. Wie clever, Jannis Niewöhner in der Rolle des Karl zu besetzen! Denn man will ihn einfach nicht als Selbstmordattentäter sehen. Wer so eine liebenswerte, friedliche Ausstrahlung hat, kann nichts Böses wollen. Wir wissen es besser. – Als Pflichtprogramm im Unterricht bestens geeignet.
Céline Sciamma: Petite Maman – Halt mich fest!
von Astrid Mathis
Nelly ist traurig. Ihre Großmutter ist gestorben – und das Schlimmste ist, dass sie sich nicht verabschieden konnte. “Ich wusste nicht, dass es das letzte Mal ist”, bemerkt sie untröstlich. Ihre Mutter beschwichtigt: “Wir wissen nie, dass es das letzte Mal ist.” Als sie in das alte Haus ihrer Großmutter fahren, spürt die Achtjährige den nächsten Verlust nahen. Eine unerträgliche Spannung zwischen ihren Eltern treibt sie in den Wald und lässt sie dort eine Freundin finden, der sie sich anvertrauen kann. Sie ist so alt wie sie, eine verwandte Seele, die nicht zufällig wie ihre Mutter heißt: Marion. Sie erzählen sich alles, lachen auf Augenhöhe. Was für ein Geschenk, seine Mutter als Kind zu erleben!
Geheimnisvoll verwebt und herzliebst erzählt, kommt der Film trotz großer Themen leichtfüßig und erfrischend daher und entlässt das Publikum mit einem guten Gefühl.
Lindsay/Martin: Tina – einfach die Beste!
von Astrid Mathis
Zu Tina Turner muss man nichts sagen. Deshalb spricht sie auch für sich selbst. Schließlich gibt es ihre Lebensgeschichte schon als Musical. Ehe der Zuschauer Einblick in die Idylle ihres Schweizer Anwesens bekommt, reist er Station für Station ihres Lebens ab. Die Dokumentation lässt mitfiebern, wie die junge Tina um ihren ersten eigenen Song kämpft und Ike verfällt, sich um ihre Musik und Selbstachtung bemüht, bis sie nach der endgültigen Trennung ihres Peinigers in den Olymp der Rockmusik aufsteigt.
Auch wenn Tina Turners Lebensgeschichte weitgehend bekannt ist, machen die Archivaufnahmen und Interviews mit ihren Wegbegleitern das Biopic zu einem interessanten Filmbeitrag, der die Ikone würdigt und gebührend feiert. Und dagegen ist absolut nichts einzuwenden.