Roméo et Juliette

Von Charles Gounod am Theater Erfurt

Inszenierung: Federico Grazzini

Premiere: 13.05.2017

Es muss nicht immer eine große Kostüm- und Ausstattungsschlacht sein, das beweist Federico Grazzinis Inszenierung von Gounouds “Roméo et Juliette”. Der Vorhang hebt sich und wir sehen: Nichts. Besser gesagt: der Zuschauer blickt auf eine leere Bühne. Wie aus dem Nichts erhebt sich lautlos – zu den Klängen der Ouvertüre – ein Hubpodium. Im krassen Gegensatz zur vorherigen Leere, steht nun das enge, wie in ein Schaufenster gepresste Bild. Vor den pathologischen Kühlfächern findet Papa Capulet seine tote Tochter und ihren ebenso toten Liebsten.

Die Ouvertüre endet und so lautlos wie sie erschienen ist, verschwindet die Szenerie wieder in der Versenkung. Diesmal jedoch wird die Bühne vom in edle Abendgarderobe gehüllten und maskierten Chor (Leitung: Andreas Ketelhut), der dicht gedrängt in der Mitte des tiefen Raumes steht und sich langsam und bedrohlich, in Nebel gehüllt auf das Publikum zubewegt, bevölkert.

Roméo et Juliette Regie: Federico Grazzini Ausstattung: Hank Irwin Kittel Choreographische Mitarbeit: Jessica Krüger Theater-Erfurt Premiere am 13. Mai 2017

Immer gleich gekleidet, bleibt er über das komplette Stück hinweg, ein unbeteiligter, passiver Beobachter. Er steht sinnbildlich für die Gesellschaft, in der wir leben, und ist so zeitlos und räumlich flexibel, aktuell und vertraut wie die gesamte Inszenierung. Eine weitere Guckkasten-Szene steht den häufig vorkommenden weiten Räumen – ein glamouröses Festzelt, ein Gittertor, eine betondominierte Straßenecke, ein Parkplatz – konträr gegenüber: Die symbolische Trauung der beiden Liebenden findet im (Hotel)Zimmer Pater Laurents statt, das, in rot und grün getaucht, nur spartanisch eingerichtet ist. Der Chor steigert, ganz in seiner, diesmal stummen, Beobachter-Rolle, die Szene ins Absurde und gibt ihr eine stark voyeuristische Note.

Probenfoto

Einen Balkon für die wohl berühmteste Liebesszene der Welt sucht man bei Federico Grazzini vergebens. Auf einem abgelegen, von einer einsamen Straßenlaterne beleuchteten Parkplatz treffen sich Roméo und Juliette. Aber genau das ist stimmig, denn hier sind die Capulets und Montaigus keine mittelalterlich mediterranen Helden, sondern tätowierte, rauschgiftnehmende, verbrecherische Familienclans. Keiner ist wirklich gut. Selbst der Pater wird als Alkoholiker dargestellt. Zwischen den Liebenden steht die Gesellschaft: brutal, kalt und unbeteiligt. Sie macht Roméo und Juliette zu Opfern, so dass auf tragische Weise der winzige Hoffnungsschimmer ihrer Liebe verlischt. Eine Versöhnung der Familien, also eine Veränderung der Gesellschaft, gibt es nicht.

Zu Beginn noch die brav perfekte, angepasste Tochter, entwickelt sich Juliette durch die Begegnung mit ihrem Roméo auch äußerlich zu einer rebellischen jungen Frau. Sie bricht mit den Konventionen ihrer, von der Familie vorgegebenen Traditionen.

Die gut choreographierten Kämpfe zwischen den verfeindeten Familien sind spannend und fordern den Akteuren einiges ab. Sie zeigen eine Brutalität, die dem Zuschauer eindeutig zeigt: Diese (Liebes)Geschichte kann nicht gut enden.

Doch obwohl die Situation eindeutig aussichtslos, das Bühnenbild minimalistisch und reduziert ist, entfaltet das Stück, getragen von Charles Gounods von Harfenklängen durchwebter Musik (am Pult: Samuel Bächli), seine Magie. Die Inszenierung lebt von den Stimmungen, die aus dem Spiel von Licht und Schatten entstehen und gerade im weiten leeren Bühnenraum ihre volle Tragweite entfalten können.

Zum Erfolg des Abends tragen ohne Frage auch die beiden hervorragenden Hauptdarsteller bei: Won Whi Choi und Daniela Gerstenmeyer werden vom Publikum bereits zwischen den Szenen mit tosendem Applaus gefeiert. Dass es an dem Abend auch etwas zu schmunzeln gab, ist Katja Bildt zu verdanken. Ihre herrlich überzeichnete Amme stand in starkem Kontrast zu dem tragischen Ernst sowohl der Liebenden als auch der Hassenden. Gesanglich nur eine kleine Nebenrolle, konnte sie ihr schauspielerisches und komödiantisches Talent unter Beweis stellen und wurde dafür ebenfalls mit viel Applaus und Bravorufen belohnt.

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Es war ein Abend voller Kontraste und Gegensätze und er bildete einen würdigen Abschluss sowohl für die in dieser Spielzeit am Theater Erfurt aufgeführte Romeo & Julia-Trilogie als auch als letzte Opernpremiere der Saison.


Artikel von Anne