Next to normal – Fascht normal: Schweizerdeutsche Erstaufführung

Premiere: 11.04.25 – Besuchte Vorstellung: 26.04.25 im Theater im Seefeld, Zürich
Eigentlich wollte ich ja nie ein Musical auf schweizerdeutsch anschauen. Gut, vielleicht Heidi oder anderes Stück, das in der Schweiz spielt. Ich habe auch Sister Äct (ja, tatsächlich mit Ä geschrieben) nicht angeschaut, weil es in «Mundart» aufgeführt wurde und es für mich nicht passt, dass Whopi Goldberg auf einmal schweizerdeutsch singen sollte. By the way, würde ich mir auch kein Musical auf bayrisch, kölsch oder österreichdeutsch (falls es das gibt) anschauen.
Bei «Fascht normal» sagte mir ein Musicalfreund, ich könne erst beurteilen, ob es mir gefällt oder nicht, wenn ich es angeschaut hätte. Ja, stimmt eigentlich. Deshalb saß ich am 26. April 2025 in der ersten Reihe, um mir «Fascht Normal» anzusehen, das schon als «Next to normal» lange auf meiner Liste der Musicals steht, die ich gerne mal anschauen wollte.
Um kurz zu spoilern: Ich bin hellauf begeistert!
NEXT TO NORMAL wurde 2008 in New York uraufgeführt. Texte und Buch stammen von Brian Yorkey und die Musik von Tom Kitt. Das Musical gewann mehrere Auszeichnungen – in 2010 sogar den Pulitzer Preis für Drama.
Die Story handelt von der Familie Gutmann (Goodman). Mutter Diana Gutmann (Susanne Kunz) leidet unter einer bipolaren Störung. Die Krankheit der Mutter beeinflusst das Leben ihrer ganzen Familie. Vater Dan Gutmann (Flavio Baltermia) fühlt sich hilflos, Tochter Nathalie (Deliah Stuker) fühlt sich ungesehen und Sohn Gabe (Joel Goldenberger), der im Alter von 8 Monaten verstarb, spielt in Dianas psychischer Welt noch eine große und zentrale Rolle. Diana geht zu einem Therapeuten (Flavio dal Molin), der ihr Medikamente und später eine Elektrokrampftherapie (EKT) verschreibt.

Im Laufe der Handlung wird deutlich, dass die Familie Gutmann, die indirekt von Dianas Krankheit betroffen ist, nicht einfach «geheilt» werden kann. Genau das hat mich bei diesem Musical beeindruckt. Normalerweise siegt in den meisten Musicals immer das Gute. Doch bei FASCHT NORMAL ist das nicht so. Es ist genau wie im realen Leben: Es gibt kein «alles wird gut». Das Musical zeigt auf, dass psychische Gesundheit ein komplexes Thema ist, das nicht nur auf den/die Betroffene/n, sondern auf deren gesamtes Umfeld großen Einfluss hat.
Ich konnte richtig mitfühlen, wie hilflos sich Vater Dan im Umgang mit seiner Ehefrau fühlte. Auch spürte ich, wie Tochter Natalie litt, weil sie wegen ihres verstorbenen Bruders von der Mutter kaum gesehen wurde.
Die Tatsache, dass es kein «Alles wird gut»-Ende gibt, hinterlässt bei den Zuschauenden ein tief bewegendes und nachdenkliches Gefühl. FASCHT NORMAL liefert keine Antworten, sondern es konfrontiert das Publikum mit der Realität von psychischen Erkrankungen. Es wird nichts romantisiert oder dramatisiert.
Die Heilung der psychischen Erkrankung von Diana ist immer wieder gescheitert. Der Wunsch, «normal» zu sein – ist nicht realistisch. Trotzdem bleibt die Hoffnung. Für jedes Familienmitglied gibt es das Licht am Ende des Tunnels. Auch wenn es noch so klein leuchtet.

Wie schon erwähnt, bin ich hellauf begeistert von diesem Musical FASCHT NORMAL. Susanne Kunz stellte grandios die Mutter mit der bipolaren Störung dar. Sie konnte dem Zuschauer genau vermitteln, wie ausweglos Diana sich fühlt. Auch Delia Stuker als Natalie füllte diese Rolle perfekt aus. Mit ihrer Mimik konnte sie genau erzählen wie Natalie sich fühlte. Falvio Baltermia transportierte die Hilflosigkeit des Vaters Dan mit seiner rauchigen Gesangsstimme. Auch Lucca Kleimann brillierte als Natalies Freund Henry mit Optimismus und wunderschöner Stimme.
Am allerbesten gefiel mir jedoch Joel Goldenberger als verstorbener Sohn Gabe. Die Rolle erinnerte mich etwas an die Rolle «der Tod» im Musical ELISABETH. Eine Person, die auftaucht, aber nicht real ist. Auf der anderen Seite hat diese Person ganz viel Macht über eine Protagonistin. Auf jeden Fall hat Joel Goldenberger diese Rolle grandios verkörpert. Wie er mit Gestik, Mimik und Gesang auf Mutter Diana einwirkte gefiel mir extrem gut.
Begeistert war ich auch von der Szene, als Diana zu einem neuen Therapeuten ging, von dem Dan gesagt hat, er wäre der «Rockstar» unter den Therapeuten. Flavio dal Molin, der den typischen strengen humorlosen Klischee-Psychiater verkörperte, sprang während des Gespräches mit Diana auf einmal auf, um einen coolen Rockstar mit Gitarre darzustellen. Dies war zwar nur die Wahnvorstellung von Diana, doch dieser Wandlung von einer Person zur anderen bewerkstelligte der Darsteller grandios.
Das Bühnenbild von FASCHT NORMAL war zwar einfach – aber gut durchdacht. Die Bühne war in verschiedene Teile aufgeteilt. Links war das Haus der Familie Gutmann. Unten das Wohnzimmer und die Küche und oben das Schlaf- und Badezimmer. Die rechte Seite wurde genutzt, um den Außenbereich darzustellen. Für die Therapieszenen wurde jeweils ein Bühnenelement auf die Bühne geschoben. Am linken Teil der Bühne stand eine Straßenlaterne und am rechten Teil der Bühne ein Klavier, das Natalie beim Studium in der Universität zeigte. Im oberen Teil der Bühne saß (auf einer Art Empore) die Band.

Ich gehe davon aus, dass viele Zuschauer und Zuschauerinnen das Theater mit einem neuen oder erweiterten Blick auf das Thema «Psychische Störungen» erhalten haben. Ich spüre auch die Nachwirkungen des Musicals, die mich zum Nachdenken und mich Austauschen bewegen. Ich fand schön, dass es im Theater eine kleine Ausstellung zum Thema «Psychische Störungen» gab. Auf Leinwänden «outeten» sich Personen wie du und ich mit ihrem Foto und ihrer Diagnose. Ein kleiner Schritt zur Entstigmatisierung dieser Krankheiten.
Ich habe noch recherchiert, wie der Autor des Musicals es schaffte, mit seiner Geschichte so genau das Gefühl, das im Musical dargestellt wurde, zu transportieren. Das kann meines Erachtens nur eine betroffene Person. Scheinbar hat Brian Yorkey sich schon immer für psychische Gesundheit interessiert. Er selbst ist nicht von einer psychischen Krankheit betroffen, aber in seinem engeren Umfeld scheint es Menschen zu geben, die damit zu kämpfen haben.
Auf der Homepage des Musicals steht übrigens eine Trigger Warnung, die definitiv berechtigt ist.
Mein Fazit: Alle Daumen hoch für dieses Musical. Und ja, ich werde in Zukunft auch Sister Äct und andere Produktionen auf schweizerdeutsch anschauen.
Cast & Crew:
- Diana: Susanne Kunz
- Dan: Flavio Baltermia
- Ärzte: Flavio Dal Molin
- Natalie: Deliah Stucker
- Gabe: Joel Goldenberger
- Henry: Lucca Kleimann
- Musikalische Leitung: Nils Fraser
- Regie & Übersetzung: Livio Beyeler
- Choreografie: Debi Kiener
- Bühnenbild: Gabor Nemeth
- Lichtdesign: Monika Krzesniask
- Tondesign: Reto Knaus
- Kostüme: Nicola Leibacher
Weitere Informationen zum Stück und der Spielstätte gibt es unter: www.kulturbogen.ch
Artikel von Susanne