Theater Erfurt – Die verkaufte Braut

Inszenierung: Markus Weckesser

Premiere: 17.12.2016

Am Wochenende war die Premiere von Smetanas „Verkaufter Braut“ im Theater Erfurt. Ich war für euch vor Ort.

Zu Beginn verhalten und sanft dringen die Klänge der Ouvertüre unter der Leitung von Zoi Tsokanou aus dem Orchestergraben. Wohlklingend intoniert durch das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringen Philharmonie Gotha erfüllen die Töne bald den ganzen Saal und versprechen dem Zuschauer idyllisch blühende Landschaften. Und diese Erwartung wird nicht enttäuscht. Der Vorhang öffnet sich nur langsam, wie um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, jedes Detail des sichtbar werdenden malerischen Bühnenbildes in sich aufzunehmen. Die Inszenierung von Markus Weckesser entführt und nach Böhmen, in die Zeit um 1900. Eine ländliche Idylle, ein Apfelbaum, eine Bank und spielende Kinder.

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Dann strömt der rotbestrumpfte Chor in klassischen Chotieschauer Trachten (Ausstattung Mila van Daag) auf die Bühne. Durch eine Art Scheinenwand wird der bespielte Raum bald verkleinert und das Ensemble rückt näher an das Publikum heran, überwindet die Distanz und spielt direkt an der Rampe. Dadurch wird nicht nur die Akustik verändert, sondern auch der einzelne Zuschauer unmittelbar in die Handlung hineingezogen. Der Saal bleibt hell, nur wenn das Publikum mit einem einzelnen der Protagonisten „allein“ ist, wird das Licht gedimmt und es entsteht eine intimere Atmosphäre. Ideal für meine Notizen, fühle ich mich doch beobachtet. Aus der anonymen Masse „Publikum“ gerissen, ist es mir unangenehm, meine Eindrücke aufzuschreiben, stehen die Sängerinnen und Sänger des Chores doch nur wenige Meter vor mir, nehmen Blickkontakt mit uns auf und fordern meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

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Ohne Tanzeinlagen – die Ballett-Sparte wurde vor Jahren aus Kostengründen gestrichen – kommen gerade der 1. und 2. Akt etwas dröge daher. Erst im 3. Akt, als Marie vom vermeintlichen Verrat ihres Geliebten Hannes erfährt und mit diesem aneinander gerät, kommt etwas Leben auf die Bühne. Vielfach starr und unbeweglich stehen Chor und Solisten auf der Bühne. Auch wenn ihnen im verkleinerten Bühnenraum nicht viel Freiraum bleibt, wäre etwas mehr bäuerliche Lebensfreude wünschenswert gewesen. Allein durch Julian Freibott als stotternden Wenzel kommt Bewegung in das Stück. Wenzels unbeholfene Art zusammen mit seiner Furch und seinem Fluchtinstinkt bringen einige akrobatische und witzige Momente mit sich.

Durch die Inszenierung zieht sich auch die Lebensgeschichte einer Gans: Am Anfang liebevoll gehätschelt, fliegen später die Federn und der Zuschauer wird Zeuge, wie sich im wahrsten Sinne des Wortes ihr Innerstes nach außen kehrt. Zum Schluss dient sie als Festessen, mit dem das Happy End von Smetanas Oper besiegelt wird. Aber hier haben Gans und Hans ihre Rechnung ohne Regisseur Markus Weckesser gemacht. Wenzel, von Marie im gleichem Maße betrogen wie diese von ihrem Geliebten, packt am Ende seine Koffer und verlässt beschwingt und in bester Charlie-Chaplin-Manier das Dorf. Marie, gerade noch glücklich vereint mit ihrem Hans, folgt ihm.

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Eigentlich findet in Smetanas „Verkaufter Braut“ auch Wenzel sein Glück: Er lernt die Tänzerin Esmeralda, die mit einer Zirkustruppe durch die Lande zieht, kennen. In Erfurt wurden der Zirkus und die damit verbundenen Tanzeinlagen so gut wie vollkommen gestrichen. Die kurzen Auftritte des Artistenensembles sorgen bei der Dorfgemeinschaft auf der Bühne genauso wie bei den Stadtmenschen im Zuschauerraum für Irritation. Skandiert die Gauklertruppe „Wir sind der gestrichene Zirkus!“, so scheint dies wie der Ausruf: kein Geld für Tänzer und Artisten? Gut, dann nehmt das hier! So wie der Zirkus nicht real ist, ja die ganze Szene sich nur in Wenzels Traum abspielt, so irreal ist dann auch Esmeralda. In Erfurt bekommt Wenzel seine „Traum“-Frau nicht.

In der Titelrolle der verkauften Braut brillierte die Norwegerin Margrethe Fredheim. Vor allem in den dramatischen Arien und ihrer Auseinandersetzung mit Hans war es eine Freude, ihr zuzuhören und zuzusehen. Die Verständlichkeit des in deutscher Übersetzung gesungenen Textes war hervorragend. Ihr Counterpart war Thomas Paul. Er sang und spielte seinen Hans mit unverkennbarem Wiener Schmäh.

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Gregor Loebel als Schnupftabak nehmender Heiratsvermittler Kezal sorgte für weitere heitere Momente. Sein Mienenspiel ist unvergleichlich: Er vermag es ein frommes Lämmchen (Wenzel) in den höchsten Tönen mit funkelndem Wolfsblick glaubhaft anzupreisen.

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Eine wahre Schockwelle des Jubels entlockte Julian Freibott (Wenzel) dem bis dahin nur artig applaudierenden Publikum. Mit begeisterten Bravo-Rufen belohnten sie den heimlichen Star des Abends. Als Wenzel sang, spielte und stotterte Freibott sich schnell in die Herzen der Zuschauer und entwickelte seine Rolle vom verängstigten Muttersöhnchen mit Sprachfehler überzeugend in einen jungen Mann, der am Ende sogar als einziger die Flucht aus den beengenden Konventionen und Traditionen der Dorfgemeinschaft wagt. Agil und mit sichtbarer Spielfreude stolperte und kletterte er über die Bühne und zeigte eine beeindruckende Bühnenpräsenz. Julian Freibott gehörte auch der schönste Moment des Abends: eine Traumsequenz untermalt durch die anderweitig entlehnte „Moldau“ mit allerlei wunderlichen Wesen, die den Zuschauern entzückte Überraschungsrufe entlockte.

Text von Anne