„MATTERHORN“ – eine MUSICALische Bergbesteigung
Weltpremiere im Theater St. Gallen am 17. Februar 2018
Wer sich in der Schweiz ein bisschen auskennt der weiß, das Matterhorn liegt eigentlich bei Zermatt. Doch seit dem 17. Februar 2018 kann man es auch im Theater St. Gallen finden. Dort feierte das Musical „Matterhorn“ seine Weltpremiere. Nach vielen anderen Produktionen wie der neuen Version von „Tanz der Vampire“, „Artus“, „Don Camillo“ usw. entpuppt sich „Matterhorn“ als weiteres Highlight für das schweizer Theater.
HANDLUNG
Das Stück erzählt die Geschichte von Edward Whymper, einem Engländer, der als Erster auf dem Gipfel des Matterhorns war. Whymper, der eigentlich Illustrator war, wurde in die Schweiz geschickt, um Bergmotive zu zeichnen. Doch dabei verliebt er sich nicht nur in die Tochter des vermeintlich reichen Seilfabrikant John Buckingham, sondern ist auch „Unheilbar verliebt“ in den schönsten Berg der Welt – das Matterhorn. Dass über diesen Berg ein Geist in Form der wunderschönen Göttin Orca wacht, ist ihm egal. Er glaubt nicht an Geistergeschichten.
Dass es noch nie jemand geschafft hat, den Gipfel zu erreichen, ist für Edward eine besondere Herausforderung, denn die Gentlemen des Alpine-Clubs kränken ihn mit ihrer Überheblichkeit. Sie, die Reichen und Eleganten, unter ihnen Lord Francis Douglas, sehen in Whymper nur den Außenseiter und glauben nur, sie hätten das Recht, die ersten zu sein, die das Matterhorn bezwingen.
Seilfabrikant Buckingham, der eigentlich verarmt ist, möchte seine Tochter Olivia unbedingt mit dem reichen Hadow verheiraten, wenn es sein muss, auch gegen deren Willen. Im Alpine-Club präsentiert er den vermeintlichen Gentlemen ein besonders reißfestes Kletterseil.
In Zermatt treffen sich die Dorfbewohner, darunter das Ehepaar Seiler, das dort ein Hotel betreibt. Alle hätten gerne mehr Tourismus, während der erzkonservative Dorfpfarrer Josef Ruden sie warnt es sei gegen Gottes Willen. Schließlich sei es doch das Paradies auf Erden, in der Nähe eines so schönen Bergs zu leben. Ohne es zu wissen, wollen der Pfarrer und Orca dasselbe, nämlichdass der Berg unberührt bleibt.
Währenddessen macht sich Whymper auf die Suche nach einem geeigneten Bergführer. Seine Wahl fällt auf Jean-Antoine Carrel, mit dem er schon vorher versucht hatte, das Matterhorn zu besteigen. Doch Carrel ist mehr an Frauen und Geld interessiert. Whymper wird Zeuge, wie Carrel den Buckligen Luc Meynet, der als Träger für Carrel gearbeitet hat und von diesem noch Geld bekommt, schlägt. Whymper greift beherzt ein und beschützt Luc.
Als Felice Giordano bei Carrel auftaucht und ihn im Auftrag der italienischen Regierung bittetdas Matterhorn zum Ruhme Italiens zu erobern, versetzt Carrel Whymper und beginnt den Aufstieg mit einer Gruppe italienischer Bergsteiger. Währenddessen erscheint Orca Olivia in einem Alptraum und warnt sie eindringlich, dass niemand die Ruhe des Berges stören darf. Auch Luc hat eine Begegnung mit Orca und wird gewarnt. Beide versuchen Whymper davon abzuhalten aufzubrechen.
Doch Whymper, der tief enttäuscht vom Verrat Carrels ist, trifft zufällig auf Lord Douglas und mit einem gemeinsamen Plan kehren sie zurück nach Zermatt. Schließlich geht es auch für die Engländer um den Ruhm und den Nationalstolz. Zusammen mit den anderen Mitgliedern des Alpine-Clubs, darunter auch der Verlobte von Olivia Buckingham, Douglas Robert Hadow, machen sie sich auf den Weg zum Gipfel.
Am 13.7.1865 brechen sie zu siebt auf, Whymper, Douglas, Hudson, Hadow und Michel Croz, der ebenfalls ein erfahrener Bergsteiger ist. Als Bergführer sind Vater und Sohn Taugwalder dabei. Allerdings wählen sie nicht, wie Carrel und die Italiener, den Aufstieg von der italienischen Seite, sondern sie gehen über die schweizer Seite hinauf und kommen besser voran als die Wettbewerber.
So kommt es, dass Edward Whymper am 14.7.1865 als erster Mensch den Gipfel des Matterhorns erreicht. Während er noch das Gefühl des Triumphes genießt und mit den Bergführern alleine zurück bleibt, machen sich die anderen Vier auf den Abstieg. Dieser ist für sie verhängnisvoll, denn sie stürzen ab.
In Zermatt wird derweil gefeiert bis Whymper mit Vater und Sohn Taugwalder alleine erscheinen. Die Feier schlägt in Trauer um. Buckingham behauptet, dass sein Seil niemals hätte reißen können. Whymper habe es durchgeschnitten, um den vermeintlichen Rivalen Hadow loszuwerden.
Es ist Samstagabend als Whymper die Einwohner von Zermatt bittet, mit ihm am nächsten Morgen die Abgestürzten suchen zu gehen. Viele wollen mitkommen, doch der strenge Pfarrer spricht ein Machtwort. Schließlich sei es Sonntag und die Leute hätten zum Gottesdienst zu erscheinen und nicht nach den Verlorenen zu suchen. Wer mitgehe, dem droht er mit Exkommunizierung. Whymper ist fassungslos. Schließlich könnten die Abgestürzten noch leben. Also macht sich Whymper alleine auf den Weg, er findet die Toten, aber nicht das Seil. Auch Luc Meynet macht sich noch in der Nacht auf den Weg, obwohl Göttin Orca im verboten hat, noch einmal den Berg zu betreten. Doch Meynet, der im Leben nichts Gutes erlebt hat, den man immer nur beschimpft und getreten hat, ist es egal. Notfalls will er sterben. Sein Lied „Kalt ist die Nacht“ ist so traurig und so schön, dass selbst die Göttin Orca Mitleid mit ihm hat.
In Zermatt gibt Buckingham derweil keine Ruhe. Er verlangt eine Untersuchung, es kommt zur Gerichtsverhandlung. Doch als schon alles gegen Whymper spricht, erscheint Luc mit dem Seil. Und … es ist zerrissen.
„Matterhorn“ ist in seiner Art schon etwas Besonderes
Ein ständiges dumpfes Donnergrollen empfängt die Besucher, wenn sie den Saal betreten und mischt sich mit dem Gemurmel der Zuschauer.
Das Musical bezieht viele echte, historisch belegte Daten und Personen ein und schlägt damit eine Brücke zwischen Realität und Phantasie. Die Göttin Orca, gespielt von der wunderbaren Sabrina Weckerlin, erscheint in einem indischen Sari und gleicht bei einer Tanznummer dem indischen Gott Shiva mit seinen vielen Armen. Dies ist sicher dem Einfluss des indischen Regisseurs Shekar Kapur zu verdanken. Seine Einstellung, dass der Mensch nicht über die Natur siegen darf, findet sich in vielen kleinen Momenten wieder.
Besonders beeindruckend ist auch die Szene, wenn Orca vor der Besteigung des Berges warnt. Sie steht vor einem Sternenhimmel, an dem dann langsam die Erde aufgeht. Und in der Kirche bildet sie eine Metamorphose von Madonna und Göttin – eine großartige Idee.
Das Bühnenbild wird dominiert – wie kann es anders sein – vom Matterhorn, das sich im See spiegelt und das durch Lichteffekte immer neu beeindruckt. Manche Bilder entsprechen auch den Original-Zeichnungen von Edward Whymper. Die Bühne, die leicht schräg ist, sieht aus wie eine Schneelandschaft, die teilweise noch durch die Silhouette des Matterhorns verlängert wird.
Die Schlüsselszene, der Absturz, ist gleich mehrfach zu sehen. Auf der Bühne klettern vier Personen die Wand hinunter, gleichzeitig klettern auch vier Personen über den Rand der Bühne (in den Orchestergraben) und auf der Bühne überblendet ein Video mit abstürzenden Personen die Szene.
MUSIK UND LYRIK
Natürlich ist die Musik ausschlaggebend für den Erfolg eines Stücks. Albert Hammond, der schon viele erfolgreiche Songs geschrieben hat, u.a. „One moment in time“, „It never rains in Southern California“ usw. hat sich nun zum ersten Mal an einem Musical versucht und das sehr erfolgreich.
Die Eröffnungsnummer, bei der Edward Whymper seine Geschichte erzählt, ist eine Rap-Nummer im Hip-Hop-Stilwährend z.B. die Nummer „Für Italiens Ehre“ ein waschechter Rock ’n‘ Roll ist. Fast eine Hymne ist der Titel „Warum sind sie blind“ der Göttin Orca, bei dem sie vor der aufgehenden Erde steht. Ein besonderes Highlight ist die Arie „Kalt ist die Nacht“ von Countertenor Luigi Schifano als Luc Meynet im barocken Stil.
Aber auch Titel wie „Zermatt bleib ich treu“, „Unheilbar verliebt“ oder „Unberührt“ haben echtes Hitpotenial. Manche Melodien erscheinen irgendwie bekannt, sind es aber dann doch nicht. Besonders dramatisch ist die Musik beim Absturz, bei der besonders die Blasinstrumente, hauptsächlich Posaunen, zum Einsatz kommen.
Die Handschrift von Michael Kunze bei den Texten ist unschwer zu erkennen. So manche Szenen erinnern ein bisschen an „Elisabeth“, „Mozart!“ oder „Tanz der Vampire“. Besonders aber hat mich Luc an Ben aus „Rebecca“ erinnert, der wie er zu den vermeindlich Schwachen in der Gesellschaft gehört. Am Ende trägt er mit dazu bei, den Unschuldigen in einer Gerichtsverhandlung zu retten. Aber mal ehrlich, wenn man schon viele Musicals gesehen hat, wird einem irgendwas immer bekannt vorkommen.
Die Musik ist jung und frisch, nicht so ganz passend zum Jahr 1865, aber gerade deshalb vielleicht auch so gut. Kein Wunder, hat doch auch Koen Schoots die Arrangements und Orchestrierung übernommen. Dazu passen die Choreografien im Urban-Style.
DIE BESETZUNG
Oudo Kuipers als Whymper spielt die Rolle als der junge, naive aber doch ehrgeizige Engländer überzeugend und ist auch stimmlich großartig. An seiner Seite Lisa Antoni als Olivia Buckingham, die nicht von ihrem Vater verheiratet werden will und ihren eigenen (Dick-)Kopf hat. Hinreißend schön und wie immer unglaublich präsent ist Sabrina Weckerlin als Orca.
Besonders beeindruckend ist die Leistung von Countertenor Luigi Schifano, der es schafft, selbst als Buckliger auf dem Boden liegend noch so herzzerreißend zu singen. Reinwald Kranner als Italiener Felice Giordano darf sich endlich mal richtig austoben, nicht nur was den italienischen Akzent angeht, sondern mit seinem rockigen Titel.
Benjamin Oeser überzeugt in seiner Rolle als der unzuverlässige, selbstverliebte Frauenheld Jean-Antoine Carrel. Eine dominierende Erscheinung ist auch Pfarrer Josef Ruden, gespielt von Jon Geoffrey Goldsworthy. Auch das restliche Ensemble ist hervorragend besetzt und es macht Freude zuzusehen.
HISTORISCHES
Interessant ist sicher, dass viele Ereignisse sich tatsächlich so zugetragen haben, wie im Stück beschrieben, und dass die Personen – natürlich bis auf Orca – auch alle gelebt haben. Es ist wirklich passiert und aus heutiger Sicht unfassbar, dass der Pfarrer tatsächlich verboten hat, die Abgestürzten zu suchen, weil sie sonst die Sonntagsmesse verpasst hätten. Schön ist auch, dass zum Ende alle handelnden Personen noch einmal sagen, wie ihre Geschichte endete.
FAZIT
„Matterhorn“ ist etwas Besonderes. Auch wenn zunächst die vielen unterschiedlichen Personen verwirren, findet man sich doch relativ gut in die Geschichte ein. Dazu wunderschöne Bühnenbilder, die teilweise den Zeichnungen von Edward Whymper entsprechen, und mit der großartigen Musik von Albert Hammond, den Texten von Michael Kunze und unter der Regie von Shekhar Kapur ist dem Theater St. Gallen wieder mal ein geniales Werk gelungen.
Wer gerne einmal selbst das „Matterhorn“ musikalisch besteigen möchte, hier Infos und Tickets www.theatersg.ch
Um das jeweilige Bild größer zu sehen einfach anklicken 😉
Text: Ingrid Kernbach
Bilder Schlussapplaus/Premiere: Ingrid Kernbach
Bilder der Produktion: Andreas J. Etter/Theater St. Gallen
Die Darsteller
Edward Whymper
Oedo Kuipers / Rune Høck Møller
Olivia Buckingham
Lisa Antoni / Veronica Appeddu
Orka
Sabrina Weckerlin
Antoine Carrel
Benjamin Oeser
Luc Meynet
Luigi Schifano
Alexander Seiler
Ramin Dustdar
Catharina Seiler
Patricia Hodell
Felice Giordano
Reinwald Kranner
John Buckingham
Dean Welterlen
Marcella Favre
Juliane Bischoff
Josef Ruden
Jon Geoffrey Goldsworthy
JohnTyndall
André Bauer
Charles Hudson / Joseph Anton Clemenz
Samuel Tobias Klauser
Robert Hadow
Marco Toth
Michel Croz
Michael Souschek
Lord Francis Douglas
Timo Verse
Peter Taugwalder sen.
Martin Kiuntke
Peter Taugwalder jun.
Nicolo Soller
Rosina
Stéphanie Signer
Emil
Max Meister
Ensemble
Silke Braas-Wolter / Pamela Zottele
Anna Burger
Jil Clesse
Klaudia Dodes
Gabriela Ryffel
Orchester
Matterhorn-Band