Hinter den Kulissen: Die Arbeit in der Kinderbetreuung
“Für euch in Schwarz” – Kinderbetreuung bei ROBIN HOOD
Musicals waren schon immer «Meins». Ich gehöre aber zu den älteren Fans, die das Thema Musical sofort mit dem grandiosen Uwe Kröger assoziieren, der Ende der 90er mit seinem blonden Schopf als «Tod» nach Pia Douwes im Musical ELISABETH die Arme ausstreckte. Mein Know-How beschränkt sich auf geschätzte hundert angeschaute Musicals. Mit diesem Wissen und jeder Menge Erfahrung mit Kindern und Jugendlichen bewarb ich mich bei Spotlight musicals GmbH für den Job der Kinderbetreuung bei Robin Hood im Theater 11 in Zürich.
Ich hatte mich zuvor noch nicht mit Robin Hood beschäftigt, weil es für mich dieser «Held im Wald» war, der die Reichen beklaute und es den Armen schenkte. So eine Art Sozialarbeiter halt (wie ich in reallife) – nur eben irgendwo in England. Beim Vorstellungsgespräch mit Maria von Spotlight erfuhr ich dann direkt die Story des Musicals. Es geht um viel mehr. Es geht um Freundschaft, es geht um Ehre und es geht sogar um Missbrauch.
Die Tage bis zum freudigen «Du bist dabei» ziehen sich wie Kaugummi. Bei mir läuft auf Spotify seit Tagen nur noch «Freiheit für Nottingham» – weil irgendwie muss ich mich ja auf den Job vorbereiten.
Viel zu früh stehe ich an der Stagedoor beim Theater 11 in Zürich und schaue zu, wie die restliche Deko vom Lion King in LKWs verstaut wird. Maria von spotlight lässt mich netterweise schon früher rein und zeigt mir das Theater. Das Theater 11 ist mir sehr vertraut – aber halt von der anderen Seite.
Ich bin überrascht von der Größe des Theaters, den vielen Garderoben und Gängen. Ob ich hier jemals wieder rausfinde? Ok, ich merke mir die Plakate an der Wand. Ich muss auf jeden Fall bei der «West Side Story» vorbei Richtung «Dällebach Kari». Oder umgekehrt?
Die Bühne wird noch aufgebaut. Maria stellt mir Nils vor, der mit Helm mitteilt, dass wir da noch nicht durchlaufen dürfen. «Was Nils sagt, gilt!» sagt Maria streng. Ok. Ich versuche mir das Gesicht zu merken. Nils. Ein wichtiger Mann. Doch jetzt zur Garderobe der Kids. Die ganzen Kostüme hängen schon da. Maria lässt mich kurz alleine ein bisschen gucken und dann kommt eine SMS «Hol doch bitte schonmal die Kinder». Ok. Kinder holen. Ist mein Job. Doch wie finde ich hier wieder raus. Grüne Wand entlang zur West Side Story. Ausgang gefunden. Ich bin schon ein bisschen stolz. Ganz ohne Navi. Ich treffe die Eltern der sieben Guy von Gisbournes und Robin von Loxleys. Alle mindestens so aufgeregt wie ich. Mit vielen Fragen. Sie glauben, ich gehöre hier richtig dazu. Ein bisschen komme ich mir vor wie Hape Kerkeling in «Kein Pardon». Seine Eltern erzählen sämtlichen Freunden und Verwandten, dass ihr Junge jetzt beim «Fernsehen» arbeitet. Allerdings hat er es nur zur Kabelhilfe geschafft und er findet bei seinem TV-Sender auch nicht die richtigen Büros. Er gibt gewisse Ähnlichkeiten.
Zum Glück sehe ich den zweiten Kinderbetreuer. Pascal Illi. Er ist tatsächlich vom «Fach». Musicaldarsteller und Schauspieler. Ich bin begeistert und fühle mich gleich ein wenig sicherer. Er kann auch die Fragen der Kids beantworten: «Stimmt es, dass im Theater alle per Du sind?», «Dürfen die Guys denn auch beim Schlussapplaus dabei sein?», «Wie ist das mit den Tickets?» Ok. Die Eltern sind beruhigt. «Wir klären das!» Genau. Die Standardantwort bei der Elternarbeit. Wie konnte ich das vergessen.
Da stehen sie also. Unsere zukünftigen Uwe Krögers und Pia Douwes´. Ein bisschen neidisch bin ich schon. Sie hatten nämlich schon einen Pressetermin mit Chris de Burgh. Da hätte ich doch sicher auch noch aufs Bild gepasst.
Die sieben Zwerge wuseln mit uns durch die Gänge des Theaters und finden recht schnell auch zu unserer Garderobe. Prima. Sie würden mich in der Not wieder hier rausnavigieren.
Wir haben einen Termin mit Gonzo. Gonzo erzählt uns, was wir alles nicht dürfen. Eine Art Sicherheitsschulung. «Niemals hinter der Bühne rennen.» Ok, das kriegen wir hin. Es sind ja auch pro Vorstellung immer nur zwei Kids zu betreuen. Gonzo macht uns klar, dass wenn er selbst am Rennen ist, irgendwie Gefahr zu drohen scheint. «Das ist in meiner gesamten Laufbahn nur ein einziges Mal passiert. Und zwar, als die Gitarre von Andreas Gabalier brannte.» Ok, Message ist angekommen. Fernhalten von Gitarren.
Im Foyer beginnen die Proben. Michelle Tönnies macht Dehnübungen. Benjamin Eberling singt bereits. Jetzt müssen die Kids daran. Ich versuche, wie bei meinem ersten Arbeitstag meiner Ausbildung, alles mitzubekommen und gleichzeitig nicht im Weg zu stehen. Das «Newbie-Gefühl» ist noch genauso wie früher. Meine kleinen Guys und Robins hatten zum Glück schon ein paar Tage geprobt und wissen, was sie sagen und vor allem wie sie laufen müssen. Wow, die erste Szene ist ja richtig schwierig. Wenn der kleine Robin falsch läuft, gibt es eine Massenkarambolage auf der Bühne und ich bin mir sicher, dass Gonzo das zweite Mal in seiner Karriere rennen muss.
Philipp Büttner (der große Robin) kommt und es wird die letzte Szene geübt. Anschließend bekommen die Kids ihre Kostüme verpasst. Andrea und ihre Kollegin suchen die Kostüme aus. Sorry, Kollegin, dass ich nicht mehr weiß, wie du heißt. Du bist ein wichtiges Mitglied der Produktion und trägst wie alle, die hier Schwarz tragen, dazu bei, dass eine großartige Produktion funktioniert. Nur stehst du -wie so viele hier- nicht im Rampenlicht. Wahrscheinlich stehst du ganz klein irgendwo hinten im Programmheft. Ich schaue nach. Tatsächlich. Dort sind alle Menschen in Schwarz aufgeführt. Hey. Ich stehe da auch! Fast 2 Monate nach meinem Einsatz stelle ich fest, dass ich in einem Musical-Programm-Heft aufgeführt bin!
Nachdem die Kids eingekleidet sind, geht mein erster Tag schon vorbei.
Am nächsten Probentag wird es ernst. Die Kids dürfen auf die Bühne. So richtig mit Nebel im Sherwood Forest. Da liegen nicht nur bei der Kinderbetreuung die Nerven blank. Also eigentlich nur bei mir. Pascal wirkt völlig gelassen. Gut, er ist Profi. Er weiß, wo «stage left» und «stage right» sind. Er findet sogar zur Garderobe, weil er selbst schon in den Hallen des Theater 11 spielen durfte.
Wir bekommen noch in der Garderobe gezeigt, wie bei den Kids die Kapuze auf dem Kopf befestigt wird, damit man die aufgeregten Gesichter sieht, die Kapuze aber fest fixiert ist. Gar nicht so einfach. Die Einen schwören auf Haarnadeln – ich schwöre auf Haarspray. Sorry, meine Robins & Guys. Ich hoffe, ihr konntet alle nach dem Rauskratzen der Kapuze aus euren Haaren eure Frisuren irgendwie retten. In meinem Kopf läuft die Zeile eines Liedes der letzten Szenen «…sonst holt dich der Kapuzenmann – sonst holt dich der Kapuzenmann…» Nein, meine Lieben. Wenn ich hier die Fixierungshoheit habe, wird niemand vom Kapuzenmann geholt. Und tatsächlich haben meine Kapuzen bis zum Schlussapplaus (und manchmal noch länger) gehalten!
Der erste Auftritt: Tja, ich glaube, ich bin aufgeregter als die ganze Cast. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, den Gürtel richtig geschlungen, den Bogen auf der richtigen Seite um die Schulter. Wer hätte gedacht, dass das alles so genau und professionell läuft. Also ich privat, ich trag den Gürtel mal im dritten oder vierten Loch. Einen Bogen habe ich in der Regel nicht dabei und die Handtasche hängt -wenn überhaupt- mal links oder mal rechts. Der kleine Guy muss auf die Toilette. Schon wieder. Wir waren schon drei Mal. Das bringt mich aus meinem Zeitplan. Dabei sitzt doch sein Gürtel gerade richtig und er hat das Mikro schon an. Was, wenn das Mikro in die Toilette fällt? Die Teile sind teuer. Ich sage ihm, dass er das sicher noch schaffen wird bis nach seinem Auftritt.
Dass der erste Auftritt so gut gelingt, hat natürlich mit mir so rein gar nix zu tun. Ich laufe den Kids hinterher, die sofort wissen, wohin sie müssen. Wo gibt’s die Mikros, wo hängt der Bogen, welche Treppe müssen wir rauf oder runter? Die Tatsache, dass ich einmal versehentlich im Zuschauerraum stand, fiel glücklicherweise niemandem groß auf. Auf jeden Fall trug ich schwarz und es hätte jeder hinter der Bühne sein können.
Ja, die erste Szene; meine Horror-Massenkarambolagen-Szene, ist fast geschafft. Die Geister des Waldes haben Robin nicht über den Haufen gerannt. Und er hat seinen Bogen weggeworfen.
Oh shit. Der Bogen! Darauf hatte ich nie geachtet. Was passiert eigentlich, nachdem der kleine Robin seinen Bogen auf den Boden geworfen hat? ICH WEISS ES NICHT! Panik bricht in mir aus. Was jetzt? Wird sich das halbe Ensemble jetzt wegen mir die Beine brechen, weil ich nie nach dem Bogen geschaut habe? Meine Musicalkarriere geht vor meinen Augen den Bach herunter. «Kinderbetreuerin verursacht Unfälle auf der Bühne. Das ganze Theater 11 musste evakuiert werden und Chris de Burgh steht an der Stage-Door und weint.» Wegen mir! Doch auch hier hat jemand mitgedacht und magischerweise hängt der Bogen an seinem richtigen Ort. Ich bin sowas von erleichtert!
So kleine Schockerlebnisse gibt es mehrfach. Einmal steht Guy von Gisbourne im Stau. Ich brauche doch jede Sekunde für die Kapuzenfixierung. Ich bin völlig nervös. An einem anderen Tag kommt ein Guy von Gisbourne aus dem Skiurlaub und ich kann genau sehen, wo er seine Skibrille getragen hatte. Panik bricht aus! OK. Schnell bei der Maske vorbei. Die Frau ist vom Fach. Soll sie entscheiden, was zu tun ist.
Mit jeder Aufführung werde ich professioneller. Die Kapuzen halten, wir sind zur richtigen Zeit mit den richtigen Materialien am richtigen Ort. Mittlerweile verstehe ich auch, dass «Kira» zur Bühne gerufen wird und nicht «Kinder».
Hin und wieder muss ich die Kids noch etwas bändigen. Aber das kann ich ja. Mein kleiner Robin steht vor seinem letzten Auftritt und wartet darauf, von Dirk abgeholt zu werden. Dirk ist ein immer lächelnder Mann mit vielen Muskeln.
Wir stehen am Abholort bei der Inspizientin und warten auf Dirk. Mein kleiner Robin hat die Inspizientin für sich entdeckt. Ich musste auch erstmal googelen. «Inspizienten/Inspizientinnen verstehen sich als organisatorisches Bindeglied zwischen Kunst und Technik. Während der Vorstellung sind sie für den organisatorischen bzw. reibungslosen Ablauf von Theater-, Opern-, Operetten- und Musicalvorstellungen verantwortlich.»* Das ist die Frau, die vorm Bildschirm alles verfolgt und steuert. Mit Notenheft vor der Nase. Und mein Robin steht da und stellt Fragen. Panik bricht aus (bei mir). Ich sehe Gonzo rennen. Doch Joyce Diedrich scheint da wirklich ein Multitaskingtalent zu sein.
Tja, es gibt noch viel zu erzählen, aber es soll ja auch nicht zu viel werden.
Ich behalte es einfach für mich, dass mein Robin und Guy überzeugt davon waren, am Dernièren-Abend einen Dernièren-Scherz zu planen. Das sei so üblich. Ich musste also besonders auf die Beiden aufpassen. Es war schon schwierig, dass sie während der Pause nicht dem Ensemble auf dem Weg zur Toilette folgten, um ein Autogramm (also ein handschriftliches im Programmheft) holen zu wollen. «Die haben doch jetzt Pause?». Ich vertröstete die Kids auf Show-Ende mit den Autogrammen, was ein bisschen bockige Robins und Guys verursachte.
Da stehen wir also am Ende der Dernière an der Stage-Door (Innenseite) und jeder, der vorbeikommt wird gefragt: «Hast du auch mitgespielt? Als was? Kriegen wir ein Autogramm?»
Ich glaube, es war Thomas Christ, der noch im Kostüm vorbeilief als die zwei Nachwuchsschauspielerinnen ihre Fragen stellten. Er hatte noch sein «King John» Kostüm an. Auf die Frage, welche Rolle er denn hätte, sagte er «Sieht man doch. Ich bin das goldene Krokodil».
Ich kann nur sagen, es war eine tolle Zeit mit Euch von der Robin Hood Produktion der spotlight musicals GmbH. Mir war nicht bewusst, wieviel Energie, Einsatz und Professionalität hinter so einer Show steckt. Ich habe nicht gewusst, wie viele Leute in Schwarz als Dirk, Gonzo, Nils, Dresser, Kostümleitung, Kostümschneiderei, Inspizienz, Maschinist, Requisite, Verfolger, Maskenbildner und vieles mehr hinter der Bühne Höchstleistung bringen, damit so eine grandiose Produktion funktioniert.
An Euch alle in Schwarz – ich verbeuge mich vor Euch. Das ist mein persönlicher Schlussapplaus für Euch.
Danke an Spotlight Musicals, dass wir diese Eindrücke veröffentlichen dürfen!
Bericht von Susanne