Hamilton – die Musicalrevolution in Hamburg

Hamilton? Der Rennfahrer? Nein, Alexander Hamilton einer der Gründerväter der USA und erster Finanzminister. Und über den gibt es ein Musical? Ja. Bereits im Jahr 2009 trat ein junger Mann namens Lin-Manuel Miranda im Weißen Haus vor dem damaligen Präsidenten Barack Obama, der First Lady Michele Obama und geladenen Gästen auf und präsentierte dort den Titelsong „Alexander Hamilton“ zu einem gleichnamigen Stück, an welchem er gerade gearbeitet hatte. Mit viel Enthusiasmus trug er das Stück vor. An manchen Stellen wurde gelacht und Lins große Augen sprachen Bände, aber er wurde nur noch mehr angespornt. Sieben Jahre später stand er wieder im Weißen Haus auf der Bühne. Nur dieses Mal war er nicht alleine, sondern die gesamte Cast von „Hamilton“ war mit ihm gekommen um wieder vor dem Präsidenten und seiner Gattin zu spielen. Dieses Mal waren Schüler von einigen High-Schools als Zuschauer geladen, denen die Geschichte ihres Landes so beigebracht werden sollte und denen es nicht mal einfach so möglich war, das Stück zu sehen. „Hamilton“ war mittlerweile zu einem weltweiten Phänomen geworden, hatte reihenweise Preise eingeheimst und die Tickets für die Shows am Broadway waren über Monate vergriffen. Bis heute spielt „Hamilton“ erfolgreich am Broadway und zudem seit 2017 am West End, sowie in Australien – zudem gibt es verschiedene englischsprachige Tourneeproduktionen. Am 06. Oktober 2022 feierte das Musical nun im Hamburg Premiere. Die erste Inszenierung in einer anderen Sprache als Englisch. Wir durften die Medienpremiere, einen Tag vor der eigentlichen Premiere miterleben.

Foto Credit: Morris Mac Matzen

Viel war im Vorfeld unter den Fachleuten, Kritikern und vor allem Fans der Musicalszene und speziell den „Hamilton-Liebhabern“ diskutiert worden: „Wie wird die deutsche Übersetzung sein, bleibt der Sinn erhalten?“ oder „Warum wird dieses Stück hierhergeholt?“ – es handelt doch von amerikanischer Geschichte. Oder „Wird das Publikum es verstehen, es überhaupt annehmen, gerade auch weil es hauptsächlich Hip Hop und R´n´B Musik ist?“ Als im Juni 2022 die Cast dann endlich mit zwei Songs präsentiert wurde (2020 gecastet mussten Sie wegen Corona zwei Jahre warten) wogte die Diskussion, besonders um die Übersetzung, wieder auf. „Das schaue ich mir nicht an, das was man bisher von den Texten gehört hat, ist nicht gut!“ und, und, und.

STAGE ENTERTAINMENT: HAMILTON – DAS MUSICAL
DEUTSCHLAND-PREMIERE IM STAGE OPERETTENHAUS IN HAMBURG.
Der Schöšpfer von Hamilton Lin-Manuel Miranda bei der Ankunft auf dem schwarzen Teppich, anlŠässlich der Deutschland-Premiere des Musicals HAMILTON von Stage Entertainment, im Stage Operettenhaus in Hamburg am 06. Oktober 2022.
Photo: Morris Mac Matzen, Photography/mmacm.com fŸr STAGE ENTERTAINMENT

Das Musical hat im Original 27438 Wörter und nun in der deutschen Fassung 24000. Und es ist schnell. Sehr schnell. Wie Hip Hop und Co. nun mal sind. Dies ist natürlich allen bewusst und man kann Texte nicht immer 1 zu 1 übersetzten und jeder wird immer wieder etwas zu bemängeln haben. Mir gefällt im Original zum Beispiel am Ende der Eröffnung „I´m the damn fool who shot him!“ besser als „…und ich? – hab ihn einfach erschossen!“ Ich finde, Sera Finale und Kevin Schröder, denen die Aufgabe zu Teil wurde, den Text zu übersetzen haben einen tollen Job gemacht. Es gibt Passagen, die sind in der Originalsprache übernommen worden, es wurden Worte gefunden für die die Musik nicht umgeschrieben werden musste, das Stück stimmig bleibt und der Inhalt originalgetreu wiedergegeben wird. Der Fakt, dass Lin-Manuel Miranda über seine Frau deutschsprachige Verwandtschaft hat und diese die Übersetzung immer wieder mit gegengelesen haben, war vielleicht auch ein Vorteil für seine Freigabe. Die deutsche ist die erste Übersetzung in eine andere Sprache und damit dann ein rohes Ei, welches besonders vorsichtig zu behandeln war.

Credit: Johann Persson

Am 24. September begannen die Previews und die ersten Zuschauer durften HAMILTON das erste Mal auf einer deutschen Bühne sehen. Was man da vom Publikum zu hören bekam war durchweg Begeisterung. Skeptiker, welche in London und New York das Stück gesehen hatten, waren ebenfalls begeistert. Als Disney+ Abonnent konnte und kann man sich vorab ein Bild von dem Musical machen, da es seit 2020 dort als Stream abzurufen ist. Natürlich ist es kein Vergleich, das Stück live auf der Bühne zu sehen. Wahrlich nicht. Die Spannung bei der Medienpremiere, einen Tag vor der Deutschlandpremiere war voller Erwartung.

Wenn man den Saal betritt, ist dort kein roter Vorhang, welcher den Blick auf das Bühnenbild verdeckt. Holzgerüste, Seile, Treppen, eine Steinmauer rund herum und in der Mitte eine Drehscheibe. Diese fährt die Darsteller von Ort zu Ort, Szene zu Szene, genauso wie die Tische, Stühle und Laternen die als Kulisse benötigt werden. Für viele der Choreographien ist diese Drehscheibe unverzichtbar. Als wenn die Choreos einen nicht so schon mit ihrer Dynamik und ihrem Feuer der Bewegungen in Einheit mit der Musik und dem Gesang abholen würden. Die Beleuchtung trägt ihren Rest dazu bei. Ein wahrliches Fest für die Augen wird einem dort geboten. Eine Aufzeichnung im Fernsehen kann dieses Erlebnis gar nicht so wiedergeben wie es das Live-Erlebnis tut. Man muss HAMILTON einfach live auf der Bühne sehen. Dabei ist es ganz egal, ob man einen oder mehrere der Musikstile, welche noch in dem Stück vorkommen, mag oder nicht, das Stück zieht einen von Anfang an in seinen Bann. Gänsehaut von Kopf bis Fuß für Ohren, Augen und die Musik-Seele.

Um dem Inhalt folgen zu können, muss man kein Geschichtsprofessor sein. Hauptsächlich geht es um das Leben Alexander Hamiltons vor, während und nach der amerikanischen Revolution. Einige der wichtigsten Begebenheiten und Begegnungen finden hier Raum. George Washington ist für uns in Deutschland die wohl bekannteste historische Person, die im Musical vorkommt. Wer sich näher mit der amerikanischen Geschichte auseinandergesetzt hat, findet weitere bekannte Persönlichkeiten aus den Anfängen der amerikanischen Nation. Auch King George III., der britische König zur damaligen Zeit findet Platz neben Namen wie John Adams, Thomas Jefferson, James Madison und dem Marquis de Lafayette. Wer möchte, kann sich gerne näher mit dem geschichtlichen Stoff beschäftigen, um mehr über die Revolution herauszufinden.

Der Song ALEXANDER HAMILTON steht am Anfang jeder Show. Nach und nach Erscheinen alle Protagonisten und das Ensemble auf der Bühne. Noch sind sie allesamt in den gleichen, beigen Uniformen gekleidet. Nur nicht die Figur des „Aaron Burr“ (großartig und überragend dargestellt von Gino Emnes), welcher uns im Verlauf immer wieder als Erzähler begegnet. Er trägt bereits seinen dunklen Rock, welcher ihm von Beginn an den Stempel aufdrückt, ihn im Auge zu behalten. Ist er doch derjenige, welcher Hamiltons Leben nach langem Zwist mit ihm, ein vorzeitiges Ende setzt. Und ohne Zweifel, Lin Manuel Miranda hat Aaron Burr einfach Hammer-Songs geschrieben, welche Gino Emnes nun hier in der deutschen Version unbeschreiblich gut umsetzt. Dazu gehören WAIT FOR IT und THE ROOM WHERE IT HAPPENS.

STAGE ENTERTAINMENT: HAMILTON – DAS MUSICAL
DEUTSCHLAND-PREMIERE IM STAGE OPERETTENHAUS IN HAMBURG.
Der Hauptdarsteller BenéŽt Monteiro bei der Aftershow Party, anlŠässlich der Deutschland-Premiere des Musicals HAMILTON von Stage Entertainment, im Stage Operettenhaus in Hamburg am 06. Oktober 2022.
Photo: Morris Mac Matzen, Photography/mmacm.com fŸr STAGE ENTERTAINMENT

Alexander Hamilton selbst wird von Benét Monteiro verkörpert, welcher zuletzt als KRISTOFF in „Die Eiskönigin“ in Hamburg zu sehen war. Ich sah in zuerst in „Kinky Boots“, wo er unter anderem als LOLA auf der Bühne stand. Damals gab es drei Lolas, die sich abwechselten. Gino Emnes, Clayton Sia (OXA) und eben Benét. Gino war die kraftvolle Lola, Clayton die verrückte Lola und Benet die liebe, sanfte Lola. Und das kommt nun auch bei der Rolle des Hamilton an den Tag. Benét strahlt immer wieder so eine grundsätzliche Freundlichkeit aus. Dennoch gibt er der Figur die Entschlossenheit die sie auf seinem politischen Weg benötigt.

Nach der fulminanten Eröffnung geht es Schlag auf Schlag, man kommt kaum dazu, Luft zu holen. Die Songs der verschiedenen Musikstile, die auf einen hereinprasseln, sind so eng und intelligent getaktet – es ist wahrlich eine Freude. Man weiß gar nicht so wirklich wo man anfangen soll und wo aufhören seine Begeisterung Kund zu tun. Ensemble und Cast funktionieren wie ein Uhrwerk, alles greift lückenlos ineinander. In der Choreo, beim Spiel sowie textlich und stimmlich sind alle top. HAMILTON kann nur im Teamwork funktionieren und dazu gehört auch das Team hinter der Bühne. Ohne die Bühnentechniker und die vielen großen und kleinen Helfer würde gar nichts laufen. Nicht zu vergessen die Musiker im Graben. Bei Hamilton kann man diese wieder sehen, wenn man vorne an der Bühne steht. Sie sind nicht darunter versteckt.

Daniel Dodd Ellis, REDCHILD, Benét Monteiro und Oliver Edward Credit: Johann Persson

Kurz nach Beginn des Musicals lernt Hamilton John Lau Rens, Marquis de Lafayette und Hercules Mulligan kennen, welche Freunde fürs Leben werden. Oliver Edward, Daniel Dodd Ellis und REDCHILD erwecken sie auf der Bühne zum Leben. Die drei rappen was das Zeug hält und überzeugen auf voller Linie. Neben Mae Ann Jorolan, welche zuerst die dritte Schuyler Schwester Peggy (niedlich in der kurzen Rolle) darstellt, übernehmen diese vier Darsteller aus dem Hauptcast jeweils noch eine weitere Rolle und überzeugen dort ebenfalls auf voller Linie. Im zweiten Akt stehen Sie als Philip Hamilton, Thomas Jefferson, James Madison und Maria Reynolds auf der Bühne. Komplett andere Charaktere werden dort von glaubhaft porträtiert. Während Peggy Schuyler die Unschuld in Person ist, sorgt Maria Reynolds dafür, dass Hamilton nicht „Nein“ sagen kann und verwickelt Alexander in eine Affäre. Für die Geheimhaltung muss er ihrem Mann letztendlich Schweigegeld zahlen. Jefferson und Madison gehörten beide zu den Gründungsvätern. Während Jefferson locker und flockig über die Bühne springt, behält Madison immer Haltung. Philip Hamilton wird als 9jähriger und 19jähriger ins Spiel gebracht und ist eine tragische Figur. Hier wird die Familie Hamilton auf eine weitere, harte Probe gestellt.

Ivy Quainoo, Chasity Chrisp und Mae Ann Jorolan Credit: Johann Persson

Für Eliza Hamilton, geborene Schuyler (dargestellt von Ivy Quainoo, der ersten Gewinnerin von „The Voice of Germany aus dem Jahr 2012) fängt das Familienleben dabei so schön an. Ihre Schwester Angelica (einfach nur umwerfend gut: Chasity Chrisp) führt ihr auf einem Winterball den jungen Hamilton zu und verzichtet zu Ihren Gunsten auf den aufstrebenden jungen Mann. Innerhalb kürzester Zeit kommt es zur Hochzeit. Beide Frauenrollen sind hier sehr gut besetzt worden, wobei Chasity Chrisp einen starken, bleibenden Eindruck hinterlässt. Wenn sich auf der Hochzeit die Uhren zurückdrehen und die Ereignisse bis zur Hochzeit aus Ihrer Sicht gezeigt werden (ZUFRIEDEN – SATISFIED“), trumpft Sie richtig auf. Ivy Quainoo hat später mit BRENN – BURN) ihren persönlichen Höhepunkt auf der Bühne, wenn Sie vorerst nicht mehr Teil der Geschichte sein will und sämtliche Briefe von ihrem Mann verbrennt.

Jan Kersjes als King George III Credit: Johann Persson

Natürlich darf der König nicht fehlen, gegen welchen sich die britischen Kolonien in Amerika auflehnen. King George III. ist derjenige welchem gerade die Macht inne war. Sein Musikstil auf der Bühne erinnert an eingängigen Britpop. YOU´LL BE BACK – SCHON SEHR BALD setzt sich so melodisch im Kopf fest, dass man das Lied noch tagelang summt. Am Broadway wurde der König von Jonathan Groff dargestellt, der sich mit seiner Interpretation selbst einen bleibenden Platz in den Geschichtsbüchern dieser großen Theaterstraße schuf. Dabei sind es insgesamt nur rund 9 Minuten, welche der König auf der Bühne präsent ist. Doch Groff hat daraus ein Meisterwerk gemacht. Jan Kersjes fällt nun dieses „Erbe“ zu, dem König in Hamburg Leben einzuhauchen. Vom ersten Moment auf der Bühne hatte er die Lacher auf seiner Seite. Allein durch Mimik und Gestik begeistert er, bevor er überhaupt zum ersten Ton ansetzt. Das was der König zu sagen hat, ist zwar nicht lustig, aber die eingängige Melodie und die Darstellung machen die Auftritte des Königs zu einem der vielen Highlights der Show.

Charles Simmons und das Ensemble Credit: Johann Persson

Direkt nach dem König betritt George Washington das Spielfeld mit einem wahrlichen Feuerwerk. Militärische Schlagzeugklänge und ein Bass, welcher einen aus den Stühlen bläst, prägen den Auftritt des ersten Präsidenten der USA. Charles Simmons gibt dem späteren Führer Form und viel Präsenz. Sein EIN LETZTES MAL, wenn er die politische Bühne verlässt, ist berührend.

Alles in allem ist HAMILTON wahrlich eine Revolution in der Musicalwelt und macht das Genre, welches in den letzten Jahren Stücke wie NEXT TO NORMAL hervorbrachte noch facettenreicher als es eh schon ist. Lin-Manuel Miranda hat mit seinem Vorgängerstück IN THE HEIGHTS schon Akzente gesetzt und Aufmerksamkeit erlangt, aber mit „Hamilton“ hat er ein Meisterwerk geschaffen, das nicht umsonst mit so vielen Preisen überhäuft wurde. Wir waren jedenfalls nicht zum letzten Mal in der Show.

Zum einen um weiter in die Geschichte einzutauchen, die Musik zu genießen und zum anderen die weiteren Mitglieder der Cast in den Hauptrollen zu erleben. Schon kurz nach der Premiere stand zum Beispiel Sasha di Capri als George Washington auf der Bühne und auch Diluckshan Jeyaratnam, welcher alternierend für die Rollen des Alexander Hamilton und Aaron Burr zur Cast gehört. Wir hoffen, dass das deutsche Publikum sich darauf einlässt und das Musical in Scharen besucht und ihm eine lange Spielzeit in Deutschland beschert.

STAGE ENTERTAINMENT: HAMILTON – DAS MUSICAL
DEUTSCHLAND-PREMIERE IM STAGE OPERETTENHAUS IN HAMBURG.
Die Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller auf der Bühne beim Schlussapplaus, anläßlich der Deutschland-Premiere des Musicals HAMILTON von Stage Entertainment, im Stage Operettenhaus in Hamburg am 06. Oktober 2022.
Photo: Morris Mac Matzen, Photography/mmacm.com für STAGE ENTERTAINMENT

Bericht: Nathalie

Bilder: Morris Mac Matzen/Johann Persson/Stage Entertainment