Die Kulturszene & Corona – Im Gespräch mit Till Nau
Im Februar 2020 konntest du noch die Premiere von „Chess“ am Theater Schwerin mit deiner Choreografie feiern. Wie war das für dich? Erzähl doch ein wenig darüber und über die Inszenierung.
Diese Produktion liegt mir noch immer sehr am Herzen. Wir hatten eine fantastische Probenzeit. Das Team und die Besetzung waren echt toll. Ich habe mich sehr gefreut nochmal mit Femke Soetenga zu proben. Mit Fabio Diso und Marc Clear habe ich zum ersten Mal zusammengearbeitet und habe die Proben mit den beiden sehr genossen. Zwei absolut coole und begabte Kollegen. Nicht zu vergessen das fantastische Pop-Trio Carmen Danen, Finja Harder und Konstantin Busak. Chess ist ein Ensemble-Stück. Ohne den fantastischen Chor und das Ballett würde es nicht funktionieren. Ich liebe Stücke, die wie ein Zahnrad funktionieren müssen.
Was war dein persönliches Highlight?
Für mich war die gesamte Produktion ein Highlight. Tolles Haus, tolles Team, fantastische Kollegen, tolles Stück, gelungene Premiere, ewige Standing Ovations und tolle Kritik. Was will man mehr?
Was war am kniffeligsten umzusetzen?
Am schwersten war es für mich, einen geeigneten Bewegungsmodus für die Schachfiguren zu entwickeln. Da die Arbeitszeit mit der Ballett Company für mich sehr begrenzt war, musste ich alles recht schnell entwickeln. Außerdem war ich sehr erstaunt, wie komplex die Partitur von Chess geschrieben ist. Das war eine sehr spannende Herausforderung! Da wir in der Premierenwoche noch einen Unfall im Pop-Trio hatten, gab es noch eine besondere Herausforderung. Das Pop-Trio führt quasi durch die Geschichte und ist somit ständig auf der Bühne, singt die komplexe Partitur und tanzt überall mit. Also brauchten wir eine schnelle und vor allem gute Lösung. Vivian Bretz hat innerhalb von nur zwei Tagen das Staging und die Choreographien gelernt. Die verletzte Kollegin haben wir alles aus dem Orchestergraben singen lassen. Somit konnte sie doch ein Teil der Premiere sein und alles ging reibungslos über die Bühne.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Ballett des Theaters, mit der Regie, mit den Schauspielern?
Die Zusammenarbeit war fantastisch. Die Arbeit mit Andreas Gergen und dem musikalischen Leiter Michael Ellis Ingram war immer sehr inspirierend und frei. Ich arbeite sehr gerne mit Andreas Gergen. Ich mag es sehr mit ihm zusammen Nummern anzulegen. Er gibt mir immer gutes Futter, um in die musikalischen Nummern einzusteigen und lässt mir dann aber viel Freiraum, Dinge weiterzuentwickeln. Außerdem wird bei den Proben mit Andreas immer viel gelacht, selbst wenn es mal ernstere Szenen gibt. Die Arbeit mit der Ballett Company hat sehr viel Spaß gemacht. Die Schwierigkeit liegt immer darin, eine Company, die einen ganz anderen Stil tanzt, auf einen neuen Stil zu trainieren. Trotzdem ist es mir auch immer wichtig, die Stärken der einzelnen Tänzer hervorzuheben, denn mein Job ist es nicht nur zu choreographieren, sondern die Darsteller, Tänzer und den Chor gut aussehen zu lassen!
Würdest du wieder nach Schwerin kommen? Was macht das Theater dort aus?
Ich würde sehr gerne noch einmal im Staatstheater Schwerin arbeiten. Die Stimmung im Haus ist immer sehr freundlich. Das fängt schon an der Pforte an wo man jeden Tag mit einem unglaublichen Lächeln begrüßt wird. Der Chor und das Ballett waren immer mit einer enormen Begeisterung bei der Sache. Was die Arbeit betrifft, hat man das Gefühl, dass jede Abteilung im Haus immer Vollgas gibt und mit viel Herz an die Sache rangeht. Außerdem ist das Staatstheater Schwerin eines der schönsten Häuser, an denen ich bisher arbeiten durfte. Die Architektur ist wie aus einem Bilderbuch.
Anfang März wurden dann aufgrund von Corona alle Veranstaltungen abgesagt. Wie hast du diesen Moment erlebt?
Ich hatte gerade eine Premiere mit einer Produktion in Spanien. Das geplante Martin Luther King Musical in Salzburg wurde während meinen Proben in Spanien schon verschoben. Und dann wurde ich kurz vor der Grenzschließung schnell nach Deutschland geflogen. Für mich fühlte sich alles an wie eine Vollbremsung von 200 auf 0.
Wie fühlte es sich an, monatelang zuhause sein zu müssen und nicht arbeiten zu können?
Ich muss zugeben, dass ich die ersten Wochen und Monate genossen habe. Es war pure Entschleunigung. Da ich beruflich sehr durchgetaktet bin, hätte ich nie so viel Zeit gehabt mal zur Ruhe zu kommen und vieles im Leben zu überdenken. Dementsprechend war ich schon dankbar für die Zwangspause. Trotzdem war es auch sehr befremdlich nicht zu wissen wie es weitergeht. Um ehrlich zu sein empfinde ich dieses Gefühl leider immer noch. Auch wenn ich gerade wieder voll arbeite, weiss ich auch, dass ich mit wenigen Kollegen eine Ausnahme bin und hoffe für ALLE, dass die Kultur und die Veranstaltungen wieder richtig Gas geben können. Denn so kann es nicht mehr lange weitergehen!
Wie hat sich diese Situation auf dein Familienleben ausgewirkt?
Ich hatte endlich mal wieder mehr Zeit für Telefonate mit der Familie und Spaziergänge mit Freunden. In der Zeit des Lockdowns habe ich noch mal besonders gemerkt, wie meine Eltern hinter mir und meinem Beruf stehen. Sie haben mir immer wieder viel Mut gemacht und immer wieder gesagt, dass sie für mich da sind und ich mir keine Sorgen machen soll. Das ist natürlich sehr beruhigend.
Womit hast du dich in den letzten Monaten beschäftigt?
Ich habe endlich viele Dinge in meiner Wohnung erledigen können, die Jahre lang aufgeschoben wurden. Ich habe angefangen zu renovieren, viel Gemüse und Gewürze auf meinem Balkon angepflanzt, viel gekocht und war viel spazieren. Ich habe auch versucht, einfach mal nichts zu machen und vor allem mal nicht an Theater oder Arbeit zu denken. Das tat wirklich gut. Generell versuche ich immer, das Beste aus jeder Situation zu machen. Den Kopf in den Sand stecken bringt nichts! There is a sunny side to every situation. (42nd Street)
Hat diese Zwangspause auch etwas Gutes gebracht?
Ja, ich war schon lange nicht mehr so viel zuhause und habe das richtig genossen. Sonst bin ich immer nur tageweise mal in meiner Wohnung oder wechsle nur den Koffer und reise am nächsten Tag gleich weiter zum nächsten Job. Diese Ruhe in den Straßen in den ersten Wochen des Lockdowns hatte schon fast was besinnliches. Und hier in Deutschland ging es uns ja verhältnismäßig sehr gut.
Wie beurteilst du die finanzielle Unterstützung durch die Regierung?
Ich finde Hamburg (das ist mein zuhause) hat sich recht gut und solidarisch verhalten. Trotzdem wäre es ohne mein Erspartes irgendwann sehr eng geworden. Andere Bundesländer wie zum Beispiel Hessen haben alle Künstler und die Selbstständigen absolut hängen lassen. Generell fand ich alles sehr unkoordiniert. In Berlin wurde das Geld gefühlt unverhältnismäßig rausgeschmissen und jetzt am Ende wieder zurückgefordert. Die größte Enttäuschung ist Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Ich denke die Kulturbranche fühlt sich von ihr nicht wirklich ernst genommen und vor allem nicht gut vertreten. Immer wieder nur auf Hartz 4 zu verweisen, finde ich ein sehr trauriges Verhalten.
Wurden die freischaffenden Künstler vergessen?
Vergessen ist nicht das richtige Wort. Im Stich gelassen trifft es eher. Auf der einen Seite haben wir das Glück, dass unser (weltweit einmaliges) subventioniertes Theater viele Künstler durch Kurzarbeit auffangen konnte, aber die Selbstständigen und Freischaffenden wie zum Beispiel meine Regie/Choreographie-Kollegen, aber auch Veranstalter usw. müssen extrem bangen, während man sieht wie gewisse Unternehmen von Steuergeldern gerettet werden und die Selbstständigen auf der Strecke bleiben.
Immerhin darf man nicht vergessen wieviel die Kultur- und Veranstaltungsbrache jedes Jahr zum BIP beiträgt. Ihr Beitrag zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung in Deutschland betrug im Jahr 2018 100,5 Milliarden Euro. Damit übertrifft die Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachen Wertschöpfung inzwischen andere wichtige Branchen wie die chemische Industrie, die Energieversorger oder aber die Finanzdienstleister! Die Tatsache, dass man die Corona-Hilfe nicht als Lebensunterhalt nutzen darf, ist absoluter Schwachsinn. Viele Selbstständige haben nun mal wenig bis keine Betriebskosten. Ich verdiene mein Geld auch nur zum Leben. Der Vorwurf, viele hätten keine Rücklagen, ist unmöglich. Ich bin zum Glück gut aufgestellt, aber viele meiner Engagements wie zum Beispiel Sister Act in Tecklenburg oder Jekyll und Hyde in Merzig sind bei mir weggefallen, d.h. nicht, dass ich und andere Kollegen nicht gut wirtschaften können oder keine Rücklagen haben, sondern dass wir einen enormen Betriebsausfall haben.
Wir hatten ja ALLE Arbeit, aber dürfen nicht „ackern“. Umso mehr ärgern mich gerade überfüllte Urlaubsflieger, FlixBusse und Züge. Ich glaube nicht, dass ein überfüllter Zug oder Bus sicherer und hygienischer ist als ein Theater!!!
Viele Künstler veranstalten seit Beginn der Theaterschließungen Wohnzimmer- und virtuelle Streamingkonzerte. Wie stehst du zu dieser Möglichkeit der Unterhaltung und welche neuen Möglichkeiten bieten sich eventuell dadurch?
Auf der einen Seite hat Corona (nicht nur bei Künstlern) viel Kreativität hervorgebracht. Ich kann auch verstehen, wenn Künstler sich zeigen und streamen wollen. Das ist ja auch die Natur eines Künstlers. Aber mir war es ehrlich gesagt zu viel. Ich hätte es konsequenter gefunden, einfach mal nichts zu machen, damit die Abwesenheit und Wichtigkeit der Kunst und des Theaters spürbar werden, weil sie nicht mehr da sind.
Ich finde, man wurde ja regelrecht überflutet von Gesang und Videoproduktionen. Ich hatte selber auch Anfragen online zu unterrichten, aber da bevorzuge ich dann doch den Unterricht im Raum mit dem Menschen. Die Autokino-Konzerte fand ich eine sehr kreative Lösung. Trotzdem glaube ich, dass wir das reale Theater und Konzerte und das „Live-Feeling“ auf KEINEN FALL ersetzten können.
Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels! Wie sieht dein Licht aus?
Während der letzten Monate habe ich, trotz dieser ungewissen Zeit, erstaunlich viele neue Angebote bekommen. Es haben sich tolle neue Projekte für die Zukunft ergeben. Ich freue mich auch umso mehr auf die Produktionen, die aufgrund der aktuellen Situation verschoben wurden. Seit Juni unterrichte ich schon wieder regelmäßig und seit Juli Probe ich Kiss me Kate an den Landesbühnen Sachsen. Wir haben natürlich gewisse Auflagen, die wir uns aber bei der Inszenierung zunutze machen und so mit viel Humor unser Stück „Corona-tauglich“ machen. Bei Kiss me Kate funktioniert das unglaublich gut, da es ums Theater im Theater geht. Wir haben so viel Spaß bei den Proben. Es ist erfrischend, wieder das zu tun, was man liebt. Ich glaube zwar erst alles, wenn die Premiere wie geplant am 31. Oktober über die Bühne geht, aber es tut sehr gut wieder mit dem, was man kann, Geld zu verdienen und vor allem kreativ zu sein.
Vielen lieben Dank an Till Nau und alles Gute!
Interview: Nathalie