Deutschsprachige Erstaufführung von „Daddy Langbein“ am Theater Bielefeld
Premiere & besuchte Vorstellung am 25.11.2018
Jede Premiere ist etwas Besonderes, doch eine deutschsprachige Erstaufführung ist noch einmal etwas ganz anderes. Wie werden die ersten Besucher reagieren? Wird es ein Erfolg oder vielleicht sogar ein Misserfolg? Fragen über Fragen, die den Beteiligten spätestens am Premierenabend Minute um Minute im Kopf herumschwirren…
„Daddy Langbein“ basiert auf dem gleichnamigen Briefroman von Jean Webster aus dem Jahr 1912. Dieser Roman wurde zu ihrem größten literarischen Erfolg und so verwundert es nicht, dass diese Vorlage mittlerweile fünfmal verfilmt, zu einer 40-teiligen Zeichentrickserie und zu einem Musical verarbeitet wurde. Für das Musical zeichnen sich John Caird (Buch) und Paul Gordon (Musik & Text) verantwortlich. 2009 kam es in Ventury County (Kalifornien) zur Uraufführung und es folgten Produktionen am West-End, dem Off-Broadway, in Tokyo, Kanada, Seoul und Buenos Aires.
Am 25. November 2018 war es nun soweit und das Theater Bielefeld durfte die deutschsprachige Erstaufführung von „Daddy Langbein“ (engl. Daddy Long Legs) im hauseigenen Loft präsentieren. Veranstaltungen im Loft sind jedes Mal aufs Neue etwas Besonderes, denn man trifft hier nur auf einen Flügel, wenig Bühnenbild und auf gar keine Tontechnik. Im Loft werden hautnahe Bühnenmomente geschaffen, so auch bei „Daddy Langbein“.
Es ist die Geschichte von Jerusha Abbott, einem 18-jährigen Waisenmädchen, welches seit es denken kann in einem Heim aufwächst. Doch eines Tages, im Jahr 1903, erhält Jerusha die Möglichkeit ein College zu besuchen, um dort Literatur zu studieren. Für Mädchen ihrer Klasse war der Zugang zum College eher ungewöhnlich. Jerushas Gönner gibt ihr schließlich den Auftrag monatlich Briefe zu verfassen und darin ihren Fortschritt zu dokumentieren. Seinen richtigen Namen soll Jerusha aber niemals erfahren.
Jerusha nennt ihn schließlich „Daddy Langbein“, da sie an jenem Tag, an dem sie die Einladung zum College erhalten hat, nur einen Schatten von ihm gesehen hat. Es vergeht Monat um Monat und Jervis Pendleton sieht sich schließlich dazu genötigt, seine eigenen Regeln zu hintergehen. Ob Jerusha Abbott am Ende wirklich Jervis Pendleton heiratet, bleibt offen…
Unter der Regie von Thomas Winter und der musikalischen Leitung von William Ward Murta wurde das Zwei-Personen-Musical mit Jeannine Michele Wacker und Gero Wendorff erfolgreich auf die Bühne gebracht. Die Übersetzung stammt von Marie-Luise Schottleitner und Martin Fischrauer. Schottleitner bringt im Februar 2019 das Stück zur österreichischen Erstaufführung und wird selbst als Jerusha auf der Bühne stehen.
Die Anspannung war Wacker und Wendorff spürbar anzumerken. Dies ist aber auch kein Wunder, schließlich haben beide sehr viel Text auf der Bühne zu verarbeiten und stehen 1 Stunde und 25 Minuten non stop auf eben jener. Den großen Stein am Ende konnte man wahrlich laut plumpsen hören, aber zu Recht.
Jeannine Michele Wacker und Gero Wendorff harmonieren auf Augenhöhe. Wacker als die energiegeladene Jerusha Abbott und Wendorff als menschlicher, aber auch aristokratischer Jervis Pendleton. Für Wendorff besteht die Kunst an diesem Abend darin, die meiste Zeit Jerushas Briefe vorzutragen. Gerne gibt er sich auch als sein eigener Sekretär aus, wenn er Jerusha eine Verabredung über die Sommermonate ausreden will. Schließlich darf er erst gegen Ende sein wahres Gesicht präsentieren und so entsteht erst am Ende ein klassischer Dialog zwischen den beiden Protagonisten. Gesanglich wie schauspielerisch präsentieren sich beide auf einem sehr hohen Niveau. Die Emotionen sind für das Publikum spürbar und nah und sorgen somit für einige Gänsehautmomente.
Der Spannungsbogen ist geschickt gestrickt, sodass man als Zuschauer nur wenige Momente für einen Zwischenapplaus findet. Die Geschichte und die Musik fesseln auf eine ganz besondere Art und Weise. Dies liegt vielleicht an der Tatsache, dass Thomas Winter und Jón Philipp von Linden (Dramaturgie) aus den ursprünglichen zwei Akten, einen kompakten stricken konnten.
„Daddy Langbein“ ist ein magisches neues Stück, welches zurecht mit minutenlangen stehenden Ovationen belohnt wurde. Ein kleiner Geheimtipp für alle, die auch einmal abseits der großen Musicalbühnen einen faszinierenden Theaterabend erleben wollen.
Bis Januar sind noch sechs Vorstellungen disponiert. Tickets gibt es telefonisch oder über die Website www.theater-bielefeld.de.
Artikel von Anna-Virginia, Fotos: Sarah Jonek