Berlinale 2022 – Eine Zusammenfassung von Astrid Mathis
Mit den Waffen einer Frau
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass Frauenpower im Festivalprogramm der Berlinale groß geschrieben wird. Pünktlich zum Februar zieht das Festival alle Register. Vom Wettbewerb über Berlinale Spezial bis hin zur Retrospektive “No angels” macht die Berlinale klar: Wir sind zurück. Mit Frauen, wie sie verschiedener und stärker nicht sein könnten. Das tägliche Testen nimmt jeder gern in Kauf – Hauptsache, alle wieder im Kino und zu Pressekonferenzen, ein bisschen Starrummel und nächtliches Schreiben und Diskutieren. Berlinale kann so schön sein!
Foto: Auf dem roten Teppich vor dem Berlinalepalast: Festivalleiter Carlo Chatrian
Andreas Dresen: Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush – Nicht ohne meinen Sohn
Diese Frau nimmt kein Blatt vor den Mund – sie kämpft mit allen Mitteln. Und das heißt: mit Herz und Mund, wenn’s sein muss, auch mit Trick 17. Für ihren Sohn tut sie alles. Im US-Gefangenenlager Guantanamo zu Unrecht inhaftiert, sucht sich eine türkische Mutter Hilfe bei einem Anwalt, der eigentlich genug zu tun hätte, aber Rabiye Kurnaz lässt nicht locker und packt Bernhard Docke an seinem Ehrgeiz und Mitgefühl. Sie will ihren Sohn Murat “da rausholen”. Gemeinsam mit dem Anwalt findet sie Wege zu Verhandlungen und Begegnungen, die sie weiterbringen. Ihre Reise nach Amerika ist der Wahnsinn und unvermeidlich. Und um ihren Sohn zu retten, nimmt sie allerhand in Kauf, denn nur so ist ihre Familie komplett. Wenn sie aus ihrem Herzen spricht, hört jeder zu. Doch der Zuschauer hat sich längst in die Deutsch-Türkin verliebt. Wie sie wild und laut Auto fährt oder Essen ins Büro des Anwalts schleppt, während die Worte nur so aus ihr heraussprudeln, hat etwas herrlich Erfrischendes. Die Geschichte muss einfach ein Happy End haben.

Regisseur Andreas Dresen beweist mit seinen Hauptdarstellern Meltem Kaptan und Alexander Scheer ein glückliches Händchen für die Erzählung nach einer wahren Begebenheit. Dementsprechend gelöst stellt sich das Filmteam den Fragen der Berlinale-Journalisten. Das internationale Pblikum hat gerade eine Entdeckung gemacht, während die Berliner ihre Lieblinge feiern.

Good luck to you, Leo Grande – Denn sie wissen genau, was sie tun
Ja, Nancy weiß, was sie will. Nach sexuell unerfüllten Jahren an der Seite ihres Mannes soll es jetzt heiß hergehen. Das hat sich die 55-jährige Lehrerin genau überlegt. Monate. Um nicht zu sagen, Jahre. Doch dann steht Leo Grande in der Tür, charmant und jung, und raubt ihr den Atem. Auf einmal ist es nicht so einfach, die Liste abzuarbeiten und erst recht, sich einem Sexarbeiter hinzugeben. Sie möchte mehr wissen, und auch er stellt genau die richtigen Fragen, verführt sie zum Tanz, lässt ihr Zeit. Er erfährt mehr aus ihrem Leben und sie aus seinem. Aber wollen sie das? Zwischendurch knistert es oder es knirscht, auf jeden Fall lässt das Paar den Zuschauer nicht kalt. Diese Begegnung ist eben mehr als eine geschäftliche Transaktion. Hier bekommt jeder den Spiegel vorgehalten und ist eingeladen, über sich hinauszugehen und in sich hineinzuhören. Ja, und am Ende sehr viel Spaß zu haben.
Wer könnte die Geschichte sensibler und humorvoller erzählen als Emma Thomson? Mit Daryl McCormack hat die australische Regisseurin Sophie Hyde das richtige Pendant gefunden. Seine selbstsichere und lockere Ausstrahlung bezaubert nicht nur Nancy, sondern auch das Publikum.


Mit Masken durch den Fandschungel: Erst im Hyatt, dann vor dem Friedrichstadtpalast gaben die Hauptdarsteller von “Leo Grande” fleißig Autogramme.
Retrospektive: No Angels – Don’t darling me!
Was für eine Starriege! Welch geniale Filmauswahl! Gegen Mae West, Rosalind Russell und Carole Lombard können alle einpacken. Vor allem Comedians – egal, ob weiblich oder männlich. Kein Wunder, denn Mae West schrieb ihre Skripte am liebsten selbst. Und da durfte dieser betörende Wimpernschlag genausowenig fehlen wie der Satz “Don’t darling me!”, mit dem sie Männer in ihre Schranken wies, wenn sie dachten, sie mit einem simplen “Darling” um den Finger wickeln zu können. Retrospektive-Chef Rainer Rother verwöhnte das Berlinale-Publikum mit 27 der schönsten und pfiffigsten Screwballkomödien, die es gibt. Bestens restauriert. Ob Carole Lombard in “Mein Mann Godfrey” bei einer Schnitzeljagd auf einen männlichen Hauptgewinn stößt, May West in “Go West, young man” die Cowboys umgarnt oder Rosalind Russell sich in “Take a letter, darling” ihren Privatsekretär zum Diktat bestellt – hier wird schnell klar, dass die 30er und 40er Jahre die Emanzipation der Frau in den Mittelpunkt stellten und damit die unterhaltsamsten Dialoge dieser Zeit schufen. Geschichten von erfolgreichen Frauen haben das gewisse Etwas – Humor und Sex-Appeal – und bringen auch Männer zum Lachen und Weinen.
Berichte: Astrid Mathis