Das Lächeln einer Sommernacht – München
Musik und Songtexte von Stephen Sondheim
Buch von Hugh Wheeler
Deutsche Fassung von Eckart Hachfeld
Nach einem Film von Ingmar Bergman
Originalproduktion am Broadway produziert und inszeniert von Harold Prince
Besuchte Vorstellung am 05.02.2016
Das ist das perfekte Stück für das Abonnementen-Publikum habe ich mir noch gedacht, nachdem ich die Einführungsmatinee für Das Lächeln einer Sommernacht am Gärtnerplatztheater gesehen habe. Immerhin geht es im Musical von Altmeister Stephen Sondheim (Uraufführung: 1973 am Broadway) um die Liebesirrungen und -wirrungen einer gehobenen Bevölkerungsschicht, hauptsächlich im mittleren Alter. Wenn da mal nicht den Herrschaften im Zuschauerraum der Spiegel vorgehalten wird!
Doch als bei meinem Besuch der eigentlichen Aufführung die fünf Liebesliedsänger – die in Hugh Wheelers Buch als eine Art allessehender, kommentierender und auch sich einmischender Griechischer Chor dienen – zur Beginn ihre Stimmen erheben, bin ich mir da schon nicht mehr so sicher. Immerhin bieten Sondheims Kompositionen eine für das Genre ungewöhnliche Komplexität und es stimmt: sie gehen deshalb auch nicht immer unbedingt gleich ins Ohr, wie es der durchschnittliche songgeprägte Zuschauer eigentlich gewohnt ist.
Für mich sind andere Werke Sondheims, wie Sweeney Todd und Follies (mein persönlicher Favorit) in dieser Hinsicht tatsächlich erfolgreicher. Dennoch gingen mir auch nach A Little Night Music (man verzichtete bei der deutschen Übersetzung des Stückes wegen Verwechslungsgefahr mit Mozart auf die Wort-für-Wort-Übersetzung) einige musikalische Motive stundenlang durch den Kopf: so etwa der vom Ensemble vorgetragene Night Waltz, das tolle Akt I-Finale Weekend in the Country und natürlich das von der Hauptfigur Desirée Armfeldt gesungene Send In The Clowns, angeblich Sondheims größter Hit. Seine Musik ist rythmisch, psychologisierend, in enger Verbindung mit den Figuren und ihren Worten, die Songtexte sind geistreich und bissig und sind von Eckart Hachfeld genial ins Deutsche übersetzt worden. Oftmals gehen Gewitzheiten in der Sprache so schnell an einem vorbei, dass ein erneuter Besuch von Sondheims Stücken sich lohnt, so auch in dieser Inszenierung Josef E. Köpplingers am Gärtnerplatztheater in München.
Doch nicht nur die musikalische Vorlage ist ein Grund für ein erneutes Ansehen, sondern auch das für die Inszenierung zusammengestellte Ensemble, das als die feine schwedische Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert schauspielerisch und gesanglich eine gemeinschaftliche Meisterleistung vollbringt. Es seien daher nur einige Einzelne aus dieser grandiosen Ansammlung von Künstlern genannt:
Sigrid Hauser als die erfolgreiche Schauspielerin Desirée Armfeldt mit ihren Liebschaften im Zentrum des Stücks, erfasst darstellerisch jede Facette dieser komplexen Figur: ihre Sinnlichkeit, ihren Biss und ihre unterschwellige Zerbrechlichkeit, die vor allem im bereits erwähnten Sondheim-Schlager im zweiten Akt zum Vorschein kommt und von Hauser grandios intoniert wird.
Ihr gegenüber steht Erwin Windegger als Fredrik Egermann, eine auf den ersten Blick verflossene Liebe Desirées, die jedoch bei erneuter Begegnung mit ihr wieder entflammt. Fredik fällt meines Erachtens im Vergleich zur weiblichen Hauptfigur etwas blasser aus, doch Windegger gelingt der patriarchale Rechtsanwalt, dessen Welt aus den Fugen gerät, sympathisch.
Noch erwähnt sei Gisela Ehrensperger, die das intime Cuvilliéstheater als Desirées allwissende Mutter mit ihrer Erhabenheit segnet (das Cuvilliés in der Münchener Residenz ist eine der Ausweichspielstätten des Staatstheaters, während der immer noch laufenden Umbaumaßnahmen im Hauptgebäude), Oona Bantel, die als ihr zur Seite gestellte Enkelin Fredrika genauso reif spielt, wie die Rolle es verlangt und ein darstellerisch und stimmlich auftrumpfender Christof Messner als Frediks Sohn Henrik, der sich im inneren Kampf befindet zwischen den Zwängen seines Pastorenstudiums und seinem heimlichen Verlangen zu seiner jungen Stiefmutter Anne (verwöhnt aber liebenswert: Beate Korntner).
Hugh Wheelers zeichnet mit seinem Buch die Vielschichtigkeit der Figuren, die sich ständig zwischen Tragik und Komik bewegen. Meiner Meinung nach kommt der erste Akt allerdings etwas langatmig daher, vielleicht auf Grund seines expositionellen Charakters. Das Stück hätte auch gut erst mit dem Erreichen der feinen Herrschaften auf dem Landsitz der Madame Armfeldt beginnen und die Figuren und ihre Probleme erst dort vorgestellt werden können. Beim Zusammenstoß der einzelnen Verlangen kommt die Handlung nämlich erst so richtig in Fahrt. Erste Anzeichen dafür bietet im ersten Akt schon das Auftreten des Grafen Carl-Magnus Malcolm und seiner Frau Charlotte. Daniel Prohaska gibt den chauvinistischen Offizier, der mit Fredrik als Nebenbuhler zu seiner Geliebten Desirée aneinandergerät, wunderbar großspurig und hitzköpfig.
Der Abend gehört jedoch Julia Klotz. Sicher: die Gräfin ist als in der frustrierenden Beziehung zu ihrem Mann abgeklärte aber dennoch ihm insgeheim hoffnungslos verfallene Gattin eine sehr dankbare Rolle, immerhin sorgen ihre trockenen (und in einer urkomischen Szene im zweiten Akt recht feuchtfröhlichen) Kommentare für die größten Lacher. Klotz vermag der Figur durch ihre Präsenz eine durch und durch tragikkomische Note zu verleihen, die sich vor allem am Ende des Stückes zeigt. Der anschwellende Applaus bei ihrer Verbeugung belohnt diese hervorragende Darbietung.
Die Ausstattung in der Inszenierung besteht aus detaillierten Requisiten und Kostümen (Marie-Luise Walek), passend im Stil der Zeit (einzig das leopardengemusterte Kleid einer Liebesliedsängerin wirkt ein wenig fehl am Platz).
Über die Bühne läuft diagonal ein roter Theatervorhang, der wie symbolisch für das ständige Rollenspiel der unterschiedlichen Pärchen über und zwischen dem Geschehen hängt. Darüber hinaus wird er auch geschickt genutzt, um Umbauarbeiten dahinter zu ermöglichen, während in einer anderen Ecke der Bühne weitergespielt wird.
Ansonsten ist das Bühnenbild (Rainer Sinell) sehr schlicht gehalten, um sich ganz auf die Figuren in ihren Höhen und Tiefen konzentrieren zu können. Leider klappt das gerade im ersten Akt, der ja schon inhaltlich ein wenig schwerfällig daherkommt, nicht immer. In dem im Vergleich zum Zuschauerraum recht großen, schwarzen Bühnenraum des Cuvilliéstheater verlieren sich die einzelnen Akteure teilweise, die Bühne wirkt in manchen Szenen etwas zu leer.
Die Nutzung der Drehbühne, in der Idee ein passendes Mittel, um die fast durchgängig in Dreierrythmen geschrieben Partitur des Komponisten beinahe tänzerisch umzusetzen, wirkt nach einer Weile etwas ausgeschöpft. Der Inszenierung tut dann buchstäblich ein Tapetenwechsel gut, nämlich dann, wenn zum Ende des ersten Akts hin ein Birkenwald als neuer Bühnenhintergrund für Madam Armfeldts Landsitz hinter der schwarzen Rückwand des Theaters zum Vorschein kommt. Von diesem Zeitpunkt an fließt Köpplingers Inszenierung so gut wie perfekt und alle Kritikpunkte sind vergessen.
Hierzu trägt auch das präzise Staging von Ricarda Regina Ludigkeit bei, die vor allem in den Ensembleszenen wirklich ganze Arbeit geleistet hat, und das zu einem wieder mal grandios aufspielenden Orchester unter der Leitung von Andreas Kowalewitz, für das es nach der Auszugsmusik verdienten Zusatzapplaus gibt.
Gemeinsam mit Ludigkeit in der Co-Regie holt Köpplinger somit alles aus dem Stoff heraus. Besonders die Eröffnungs- und die Endszene vor einem großen schwarzen Sternenhimmel sind teilweise atemberaubend, was auch an der tollen Beleuchtung liegt, für die er sich mit Michael Heidinger zusammengetan hat.
Als die Liedsängerinnen und Liedsänger zum Schluss ihre Mappen zuschlagen ist eine magnetische Stille im Raum, es gibt zwar keine Standing-Ovation, doch der Applaus ist wohlwollend. Ich habe das Gefühl, dass das Musical den Zuschauern auf eine gewisse nachdenkliche Art und Weise sehr gefallen hat. Und das ist doch mal eine Leistung von einem Musical, dir nicht alles auf dem Silbertablett zu servieren, damit du am Ende wie auf einem Rockkonzert in Jubel ausbrechen kannst, sondern dich auch mal nachdenklich, vielleicht sogar melancholisch zu stimmen. Als ich mit meiner Begleitung aus dem Theater komme bin ich dennoch alles andere als melancholisch. Ich bin überglücklich, dass es Musicals gibt und dass ich sie liebe. So muss Sondheim sein! Bitte mehr davon! Und wahrscheinlich waren meine anfänglichen Zweifel unbegründet: Das ist das perfekte Stück für das Abonnementen-Publikum.
Artikel von Georg für Bühnenlichter.de