73. Berlinale 2023 – Alles auf Anfang

Dieses Motto war für die 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin Programm. Endlich ohne Corona-Tests ins Kino, endlich Premieren und Partys, wie es sich für ein Filmfest gehört. Und endlich, ob in Komödien oder Tragödien, am Ende die „Botschaft“, es kann wieder losgehen. Neustart!

 
Margarethe von Trotta „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“: Sehnsucht nach Freiheit – Wettbewerb

Zwei vom gleichen Schlag, Schriftsteller, also Intellektuelle, zwei exzentrische Charaktere, Egoisten also: Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) und Max Frisch (Ronald Zehrfeld). Das berühmteste Paar der Nachkriegsliteraur. Sie wollen sich nah sein, ein Miteinander, zusammen schreiben und leben. Und müssen doch scheitern. Einfühlsam und verzweifelt, aber doch als Einzelkämpfer zeichnet Regisseurin Margarethe von Trotta ein Bild der Liebenden. Bachmann nimmt den Freiheitsentzug in Kauf, indem sie zu Frisch in die Schweiz zieht und fühlt sich durch seinen Kontrollwahn gegängelt. Frisch wiederum sieht seine Idylle durch jeden Eindringling in ihre Beziehung gestört, sei es eine Person oder eine Vortragsreise, und fragt schließlich: „Was habe ich falsch gemacht?“ Diese nach Unabhängigkeit strebende Frau, ihre Unberechenbarkeit macht für ihn den Reiz aus und treibt ihn gleichzeitig in die Enge. Genauso wie sie die Art des konservativen Mannes lähmt. Neubeginn – ja, aber jeder für sich.

Christian Petzold „Roter Himmel“ – Femme fatale am Ostseestrand – Wettbewerb
 

Die beiden Berliner Freunde Leon und Felix verbringen im Sommer einen Monat in Ahrenshoop auf dem Darß: Urlaub an der Ostsee kann schön sein, aber nicht, wenn man einen Roman schreiben will und stecken bleibt. Bei dem Titel „Club Sandwich“ auch kein Wunder. Immer wieder schiebt Leon vor, dass er arbeiten muss und vergräbt sich dabei in seiner Schreibblockade. Die allein wäre ja nicht das Schlimmste, aber dass dann noch die Saisonarbeiterin Nadja im selben Ferienhaus die Nächte mit ihren Sexgeschichten stört…, ist für ihn der Gipfel. Eine geheimnisvolle Frau wie Undine. Als Felix auch noch mit Devid anbändelt, fühlt sich der verhinderte Schriftsteller erst recht als Außenseiter. An Nadja (Paula Beer) kommt er nicht ran, an seinen Roman auch nicht, bestätigt ihm sein Lektor (Matthias Brandt). Komisch ist das nur für den Kinozuschauer. Eine Naturkatastrophe bringt die vertrackte Situation letztlich völlig aus dem Lot.

 
Sonja Heiss: „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“ – Mit dem Wahnsinn leben – Generation

Das autobiographische Werk von Schauspieler Joachim Meyerhoff ist eine Zeitreise, wie sie tragischer und witziger kaum sein kann. So leichtfüßig, wie der Roman daherkommt, so unterhaltsam ist auch der Film. Die Geschichte beginnt in den 70ern im norddeutschen Schleswig. Der Sohn des Direktors einer psychiatrischen Klinik muss einiges ertragen und ist gleichzeitig fasziniert. Zum Beispiel von Marlene, die eine Patientin seines Vaters ist und versucht hat, sich umzubringen. Der kleine Josse fühlt sich ihr nah – er bekommt seine Schreianfälle ja selbst nur in den Griff, wenn er auf der Waschmaschine sitzt. Mit den Eltern (Devid Striesow und Laura Tonke) hat er es zusehends schwerer. Er beobachtet, wie sie auseinanderdriften und lässt uns berührt zurück, wenn wir zuschauen, wie seine Mutter mit einem Elektromesser alles durchtrennt, was ihr in die Quere kommt – als könnte sie damit allen Ballast loswerden und ein neues Leben beginnen. Stark, bewegend und humorvoll – ein herrlicher Film.


Gastbeitrag von Astrid Mathis.