Wozzeck

Am Theater Erfurt

Ende Februar war ich für euch in der Premiere von Alban Bergs Oper “Wozzeck” im Theater Erfurt. Eine Stunde vor der Vorstellung wurde vom Intendanten Guy Montavon eine Ausstelung mit dem Titel “Von Trieben und Getriebenen” eröffnet. Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus Erfurter Schulen hatten sich im Rahmen des “Wozzeck-Projekts” mit Bergs Komposition und Georg Büchners literarischer Vorlage beschäftigt. Dabei ist z.B. ein Wozzeck-Rap entstanden, den man sich an einer Hörstation im Foyer anhören kann.

Die Ausstellung war eine gute Einstimmung auf das Stück. Das Publikum war erfrischend jung und die Stimmung lebendiger als sonst. Während wir alle unsere Plätze einnahmen und sich der Saal fast vollständig füllte, gab es bereits etwas auf der Bühne (Bühnenbild Etienne Pluss) zu sehen: in einer Endlosschleife drehte sich ein hoher Zylinder, der vier enge, zellenartige Räume enthielt. Der Blick auf den Rest der Bühne wurde durch ein gigantisches Gittertor versperrt, so dass die gesamte Aufmerksamkeit der Zuschauer auf den kleinen Ausschnitt fixiert wurde. In den einzelnen Räumen konnte man – ein bisschen wie früher im Zoo – die Hauptfoguren betrachten. Marie, Andres, der Doktor und der Hauptmann ziehen vor unseren Augen vorbei. Immer und immer wieder. Bis plötzlich Wozzeck in einem der Räume erscheint. Und ebenso unvermittelt wie er dort auftaucht, beginnt auch die Inszenierung.

Probenfoto

Der erste Akt zeigt Momente aus Wozzecks (Máté Sólyom-Nagy) Alltag und seine Beziehungen zu den ihn umgebenden Menschen. Gerade die erste Szene überrascht den Zuschauer, ist im Gespräch mit dem Hauptmann (Erik Biegel) doch Wozzeck eigentlich derjenige, der im Gegensatz zu seinem Gegenüber ruhig und vernünftig erscheint. Die Inszenierung von Enrico Lübbe unterstreicht dies noch, indem sie Wozzeck oft genau das Gegenteil von dem tun lässt, was der Hauptmann ihm gerade vorwirft. Er erscheint wie ein armer Teufel, umgeben von lauter Irren. Auch die nach historischen Vorlage entstandenen Kostüme (Bianca Deigner) unterstreichen diesen Eindruck. Wozzeck und Marie sind bieder gekleidet, die anderen wirken überzeichnet und schrill.

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Doch schon in der nächsten Szene zeigt sich auch eine andere Seite Wozzecks, als er von Wahnvorstellungen und Angstzuständen gequält durch das Zimmer seines Freundes Andres (Won Whi Choi) tobt und diesen das Fürchten lehrt.

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Fasziniert von den zunehmenden Psychosen seines Versuchskaninchens, träumt der Doktor von Ruhm und Unsterblichkeit und vergisst dabei vollkommen den Menschen Wozzeck. Vazgen Gazaryan gibt seinem Doktor ein Leuchten in die Augen, das zum einen dessen bedingungslosen Willen zum beruflichen Erfolg zeigt, für den er wortwörtlich über Leichen geht, und zum anderen auch einen Funken Wahnsinn.

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Im zweiten Akt wird der Bühnenraum erweitert. Während Doktor und Hauptmann durch neu geschaffene Türen im Zylinder-Haus jagen, als wäre sie Gefangene in einem Hamsterrad, lässt sich im Hintergrund bereits eine weite Landschaft erahnen, die schließlich im weiteren Verlauf die ganze Bühne einnimmt und das Haus an den fernen Horizont verbannt.

Doch zuvor kommt noch die beeindruckende Bühnentechnik zum Einsatz. Das innere des Wirtshauses ist geneigt, der Gang von einer Tür zur nächsten wird durch die Steigung zur Herausforderung. Wie Sisyphos mit seinem Felsbrocken, quält sich der Opernchor (Leitung: Andreas Ketelhut) den Anstieg hinauf, nur um Augenblicke später wieder hinabzutaumeln. Doch schließlich tummelt sich dort die heitere Schar, in deren Mitte Marie (Stéphanie Müther) mit dem stattlichen Tambourmajor (Thomas Paul) kokettiert. Wozzeck beobachtet das Ganze von außen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Wahnvorstellung, bleibt zum Teil unklar, was sich tatsächlich und was nur in Wozzecks Kopf, abspielt. Seine Welt steht vor unseren Augen Kopf. Als wäre dies nicht genug, wird er noch misshandelt, zusammengeschlagen und verspottet.

Eine wahre Meisterleistung vollbringt Máté Sólyom-Nagy als Wozzeck. Die Verzweiflung, Not, Qual, Erniedrigung, der Wahn und Wahnsinn seiner Figur zeigt er auf eindringliche Weise, kehrt sein Innerstes nach Außen und hinterlässt beim Publikum eine Gänsehaut.

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Der dritte Akt öffnet die Bühne schließlich in ihrer vollen Größe in eine Uferlandschaft, in der es schließlich zur Katastrophe kommt. Geblendet von gleißend hellem Licht, kann man den Mord an Marie nur erahnen. Mit wir vor Anstrengung zitterndem Taktstock entlockt Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz dem Philharmonischen Orchester einen wahrlich ohrenbetäubenden Ton. Welche Klangkraft da aus dem Graben schallt ist beeindrucken dun löst zugleich Beklemmung im Zuhörer aus.

Die letzte Szene zeigt spielende Kinder, in denen sich jeweils eine der handelnden Erwachsenen Figuren wiederspiegelt. Das Drama setzt sich also in der neuen Generation fort und bildet einen ewigen Kreis. Am Ende beleuchtet ein einsamer Scheinwerfer ein vergessenes Steckenpferd, während der nun verwaiste Junge von Marie und Wozzeck allein im Dunkeln verschwindet. Glockenklar singt hier der Kinder- und Jugendchor unter Leitung von Cordula Fischer

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Alban Bergs Literaturoper Wozzeck gehört zu den Schlüsselwerken des modernen Musiktheaters. Seine expressionistische Musik geht nur schwer ins Ohr. Doch immer wieder sind auch melodische Passagen mit großem Streicheranteil und klagenden Geigen zu hören. Mit einem Wechsel zwischen Singen und Sprechen bedient sich Berg zudem aller Möglichkeiten der menschlichen Stimme.

Den eindringlichen und gelungenen Abend belohnte das Publikum mit starken Applaus.

Noch ein Tipp zum Schluss: Das Theater Erfurt bietet zusammen mit dem Deutschen Nationaltheater Weimar einen Rabatt für den Vorstellungsbesuch der Berg-Oper “Lulu” in Weimar und umgekehrt an. Bei Vorlage der jeweils anderen Theaterkarte erhält man eine Ermäßigung von 25 %.


Artikel von Anne