Rodgers & Hammersteins CINDERELLA – Dresden 2020/2021

Musicalpremiere mal anders an der Staatsoperette Dresden

Ursprüngliche Premiere: 28. November 2020

Digitale Premiere: 25./26. Dezember 2020

2020 ist alles anders. Ein Virus bestimmt das Leben – privat wie kulturell. Im November hieß es für alle Theater zum zweiten Mal in diesem Jahr pandemiebedingt die Türen fürs Publikum zu schließen. Zum Trost oder Gott sei Dank durfte in allen Bundesländern weitergeprobt werden, sodass eine Wiederaufnahme des Spielbetriebes theoretisch sofort wieder möglich wäre, wenn ein „Go!“ von Seiten der Politik käme. Aber eben dieses „Go!“ scheint noch in ziemlich weiter Ferne und so müssen die Theaterhäuser dieser Welt neue Wege gehen. So auch die Staatsoperette Dresden.

An den Weihnachtsfeiertagen feierte also das Rodgers & Hammerstein-Musical CINDERELLA eine digitale Premiere. Aufgenommen wurde das Musical von der broken circle Filmproduktion am 12. Dezember 2020 ohne Publikum. Ursprünglich war CINDERELLA als Weihnachtsproduktion für die ganze Familie geplant. Die Vorstellungen waren alle weit bis in den Januar ausverkauft und Besucher*innen mussten teilweise aufgrund der geringen Saalkapazität vertröstet werden, wie Kathrin Kondaurow im Late Night Mitte Talk am 19. Dezember verriet. Aber mit der digitalen Premiere bekommen nun wieder alle, auch Interessierte außerhalb Dresdens, die Möglichkeit, diese wundervolle und magische Inszenierung zu bewundern.

Rodgers & Hammersteins CINDERELLA wurde ursprünglich als Fernsehmusical 1957 gezeigt. Es folgte eine Bühnenversion, die 1958 in London Premiere feierte. Eine überarbeitete Version, die es auch an den Broadway schaffte, feierte 2013 Premiere. Diese Broadway-Fassung feierte schließlich erst 2018 in München Deutschlandpremiere an der Theaterakademie. Die deutsche Fassung stammt von Jens Luckwaldt, die Orchestrierung von Danny Troob. Eine neue Orchestrierung stammt von William Ward Murta.

Die Handlung von CINDERELLA oder auch Aschenputtel/Aschenbrödel dürfte hinlänglich bekannt sein, dennoch fassen wir sie hier kurz zusammen: Im Märchenwald wird Prinz Christopher (kurz: Chris) von seinem Thronverwalter Sebastian zum Frühsport bestellt. Es sollen Riesen und Drachen bekämpft werden, doch mit großen Selbstzweifeln führt Chris diese Aufgaben aus. Chris weiß nicht, wer er ist. Er fühlt sich nicht als Prinz und schon gar nicht zum Kaiser berufen. Auf dem Weg zum Schloss begegnet der Prinz erstmals Cinderella (kurz: Ella), die seit dem Tod ihres Vaters von der Madame und ihren Töchtern Charlotte und Gabrielle wie eine Angestellte behandelt wird. Schließlich stellt Sebastian dem Prinzen im Schloss den neusten Plan vor: Der Thronfolger soll bzw. muss heiraten. Die Richtige soll auf einem Maskenball gefunden werden. Die Madame sieht ihre Chance zum Adel aufzusteigen.

Die Madame besucht den Ball mit ihren beiden Töchtern und Ella bleibt zu Hause. Doch Marie, welche sich als gute Fee entpuppt, erfüllt Ella den Wunsch auf den Ball zu gehen. Ellas Erscheinen auf dem Ball sorgt für Verstörung beim Adel, ihre Familie erkennt sie nicht. Chris ist von Ellas Natürlichkeit begeistert. Nach einem gemeinsamen Tanz rät Ella dem Prinzen, besser für sein unterdrücktes Volk zu sorgen. Die Uhr schlägt schließlich 12 Uhr und Ella muss fliehen, da der Zauber in Kürze verfliegt. Prinz Chris folgt ihr.

Chris sucht verzweifelt im Wald seine Herzdame. Währenddessen ist Ella zurück zuhause und schwelgt mit Madame, Charlotte und Gabrielle in Erinnerungen an den Ball. Ihre Stiefschwester Gabrielle ahnt, dass Ella diejenige ist, in die sich der Prinz verliebt hat. Im Schloss kontrolliert Chris erstmals Sebastians Politik. Dabei muss der Prinz erfahren, dass das Volk in seinem Namen nach und nach ausgebeutet wird. Schließlich beschließt der Prinz, ein Festmahl auszurichten, um Ella endlich wiederzufinden. Gabrielle hat keine Lust zum Festmahl und möchte stattdessen Ella ihr Kleid leihen und mit Jean-Michel etwas unternehmen. Doch die Madame durchkreuzt diesen Plan und verbannt ihre Tochter Gabrielle. Erneut hilft Marie, die Ellas Fantasie beflügelt. Ella taucht schließlich in Begleitung von Jean-Michel beim Festmahl auf und animiert Chris, die Regierungsgeschäfte in Zukunft zu übernehmen und eine demokratische Wahl auszurufen. Der erste Premierminister soll in vier Wochen gewählt werden. Zur Wahl stehen Sebastian und Jean-Michel.

Um Mitternacht muss Ella erneut flüchten und verliert dabei einen Schuh auf der Schlosstreppe. So wird Chris sie finden können und tatsächlich erkennt der Prinz bei einer großen Schuhanprobe der Frauen im Reich seine Ella, auch ohne schönes Ballkleid. Alle sind versöhnt, selbst der Madame verzeiht Ella. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben Chris und Ella heute noch glücklich in ihrem Reich.

Wenn die Ouvertüre von CINDERELLA erklingt, fühlt man sich direkt vom Broadway-Sound verzaubert. Die Ouvertüre stellt, wie man es auch aus Opern/Operetten kennt, musikalisch sämtliche Themen und Motive des Abends vor, wobei die gute Fee/Marie den Zuschauer bereits mit in den Märchenwalt nimmt, zusammen mit dem Musik-, Holz-, Garderoben- und Müllgeist.

Das Bühnenbild von Philip Rubner ist schlicht gehalten, genauso wie die Kostüme von Sarah Antonia Rung, welche auf der einen Seite modern und auf der anderen Seite klassisch wirken. Letztlich wird mit den Kostümen und dem Bühnenbild der eigene Zeitgeist der Dresdner Inszenierung geschaffen.

© Pawel Sosnowski

Bereits in den ersten Minuten zeigt sich eine kreative und innovative Regiearbeit von Geertje Boeden, welche im Rahmen dieser Inszenierung nicht nur ein fantasievolles, zeitgemäßes und magisches Märchen auf die Bühne gezaubert hat, sondern auch noch sämtliche Hygiene- und Abstandsregeln berücksichtigen musste. So muss u.a. auf direkte Zärtlichkeiten zwischen Christopher und Cinderella verzichtet werden, dafür auf Abstand mit verstärkter Mimik. Ebenso müssen der Walzer und die Gavotte auf Abstand getanzt oder Gabrielle aus der Ferne getröstet werden. Raffiniert ist auch der Einsatz von Handschuhen bei jenen Protagonisten, die Requisiten weiterreichen sollen.

Die Rodgers & Hammerstein Version von CINDERELLA ist ein Musical für die ganze Familie, welches aber nicht zu kitschig oder zu kindlich daherkommt, sondern durch und durch erwachsen und zeitgemäß ist. Wie man es aus der Entstehungszeit des Musicals gewohnt ist, darf eine kleine Steppnummer, hier von der Madame (gespielt von Ingeborg Schöpf), nicht fehlen. Gerade durch die Regiearbeit von Boeden kommt es in dieser Inszenierung auch vor, dass Diversität im Volk des Märchenreiches gezeigt wird. So tanzt sich ein Mann in Frauenkleidern zum Ball. Die Ballszenen bestechen durch harmonische Choreografien.

Die Dresdner Besetzung ist überwiegend mit Darsteller*innen des klassischen Fachs besetzt. Einzige Ausnahme bildet hier Gero Wendorff in der Rolle des Christopher. Dies führt aber keinesfalls dazu, dass die Inszenierung zu klassisch daherkommt. Im Gegenteil: genau diese Zusammensetzung führt zu einem gewissen Zauber, der selbst über den Bildschirm spürbar wird. Das gesamte Ensemble überzeugt auf ganzer Linie. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, dass die Darsteller*innen diese neue Art des Arbeitens weniger ernst nehmen. Wie die beiden Hauptdarsteller*innen im “Late Night Talk” verrieten, war die Stimmung am Tag der Aufzeichnung irgendwas zwischen einer richtigen Premiere und einer Hauptprobe. Statt Publikum im Zuschauersaal waren dort zahlreiche Kameras vertreten, sodass sich eine gewisse Aufregung im Team breit machte.

Gero Wendorff als Chris und Laila Salome Fischer als Ella harmonieren wunderbar und es ist vielleicht auch der Gegensatz ihrer Stimmen, die Duette wie „Vor zehn Minuten“ so zauberhaft wirken lassen.

Silke Fröde als Marie/gute Fee überzeugt mit einer Herzlichkeit und Wärme, sodass man sie gerne selbst als gute Fee an der eigenen Seite hätte. Ganz im Gegensatz zu Ingeborg Schöpf als Madame. Ihr nimmt man die böse Stiefmutter zu jeder Sekunde ab. Sehr amüsant ihr kurzer Stepptanz mit Hausschuhen in Hundeoptik. Zum Ende verzeiht man ihr als Zuschauer genauso, wie Ella es tut.

Schöpf agiert fast ausschließlich im Zusammenspiel mit ihren Kolleginnen Lisa Müller als Gabrielle und Jeannette Oswald als Charlotte. Diese Konstellation ist perfekt und im Quartett „When You’re Driving Through the Moonlight“ mit Laila Salome Fischer wird dies erneut bestätigt.

Man kann für die CINDERELLA-Inszenierung in Dresden nur hoffen, dass eine baldige Live-Premiere als Wiederaufnahme möglich sein wird. Laut aktuellem Spielplanstand hofft man auf eine Wiederaufnahme Mitte Mai. Tickets können bereits online unter www.staatsoperette.de gebucht werden.

Wer den Stream verpasst hat, ist tatsächlich in diesem Fall selbst schuld. Ein perfektes, zeitlos inszeniertes Musical für die Weihnachtszeit, aber auch fürs ganze Jahr, denn Märchen gehören schließlich nicht nur zum Weihnachtsfest. Es lädt zum träumen ein. Man weiß, dass am Ende alles gut wird und kann für gute zwei Stunden den Alltag vergessen.


Artikel von Anna-Virginia

Cast & Team

  • Musikalische Leitung: Christian Garbosnik
  • Regie: Geertje Boeden
  • Bühne: Philip Rubner
  • Kostüme: Sarah Antonia Rung
  • Choreographie: Winfried Schneider
  • Choreinstudierung: Thomas Runge
  • Dramaturgie: Judith Wiemers
  • Cinderella: Laila Salome Fischer
  • Prinz Christopher: Gero Wendorff
  • Graf Dingelstein: Dietrich Seydlitz
  • Sebastian: Bryan Rothfuss
  • Marie (Gute Fee): Silke Fröde
  • Gabrielle (Schwester): Lisa Müller
  • Charlotte (Schwester): Jeannette Oswald
  • Madame (Mutter): Ingeborg Schöpf
  • Jean-Michele: Timo Schabel
  • Tanzsoli (Geister): Dominica Herrero-Gimenez, Vladislav VlasovMarat RahmStephanie Beyer
  • Ballett der Staatsoperette Dresden, Chor der Staatsoperette DresdenOrchester der Staatsoperette Dresden