Kuss der Spinnenfrau – Leipzig 2020

Keine leichte Kost, aber großer Coup für die Musikalische Komödie

Premiere & besuchte Vorstellung: 01. Februar 2020

02_ Kuss der Spinnenfrau_25.01.20_©Kirsten Nijhof

Da ist der Musikalischen Komödie in Leipzig am 01. Februar 2020 wieder ein großer Coup gelungen mit ihrer Interpretation von Kanders und Ebbs Musical „Kuss der Spinnenfrau“. Die stehenden Ovationen mit anhaltendem Applaus nach Ende der Vorstellung, waren ein Zeichen der tollen Leistung aller Beteiligten an dieser Produktion und nahmen auch bei der Vorstellung im Rahmen der anschließenden Premierenfeier kein Ende.

Die Themen Gewalt, Hass, Unterdrückung, Homosexualität, Liebe und Revolution sind aktuell und mit dem passenden Bühnenbild und Kostümen könnte der Handlungsort direkt in unserer Nachbarschaft liegen.

Uniformen und bequeme Alltagskleidung sind aus dem Heute gegriffen. Bei den Kostümen (Aleksandra Kica) von Aurora/Spinnenfrau wurde mit Glanz und Glitzer in vielen Variationen gearbeitet, um auf die große Welt des Films hinzuweisen.

Das Bühnenbild (Frank Schmutzler) kommt mit wenigen, aber wichtigen Details aus. Der Fokus liegt auf zwei großen drehbaren Elementen, die eine Zelle mit Gitterstäben und Betten demonstriert. Wenn diese Teile auseinandergezogen werden, wird eine Treppe sichtbar, die als Showtreppe für Aurora dient und gleichzeitig auch Hilfsmittel für die Wärter und Aufseher ist, um auf die obere Etage zu gelangen. Auf den beiden Zellenelementen finden z.B. Verhöre, Misshandlungen und Gespräche statt. Durch die zwei Ebenen wird auch deutlich, wer in der Hierarchie im Gefängnis oben steht und welche Personen in den Träumen der Gefangenen erscheinen. Mit wenigen zusätzlichen Requisiten, wie etwa einem Krankenbett, einem großen Vogelkäfig oder einer Schaufensterpuppe werden auch Veränderungen des Handlungsortes erzielt. Da das Westbad eine Alternativ-Location zur sich gerade in der Renovierung befindenden Komödie ist, früher mal ein Hallenbad war und heute als Eventlocation dient, drehte Frank Schmutzler die Bühne und den Zuschauerraum um 90 Grad. Bereits beim Betreten des Zuschauerraums weisen Stacheldraht an den Wänden und die passende Beleuchtung durch Scheinwerfer auf den Haupthandlungsort, ein argentinisches Gefängnis zur Zeit der Militärdiktatur, hin.

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Mit dem „Kuss der Spinnenfrau“ wird die Geschichte des homosexuellen Schaufensterdekorateurs Molina (Gaines Hall) erzählt. Er sitzt wegen Verführung Minderjähriger eine 8-jährige Haftstrafe ab. Sein Zellengenosse ist der linke Widerstandskämpfer Valentin (Friedrich Rau). Die Lebenseinstellungen beider Akteure könnten unterschiedlicher kaum sein. Molina flüchtet sich in Gedanken schließlich immer aus der brutalen Gefängniswelt voll Folter, Demütigung und Willkür in die cineastische Welt der Fantasie. Die Filmdiva Aurora bringt weibliche Sinnlichkeit und Hollywood-Glamour in die triste Zelle. Molina verehrt Aurora wie eine Göttin, allerdings in der Rolle der Spinnenfrau, deren Kuss tödlich ist.

Valentin sucht hingegen Halt in seinen politischen Idealen. Doch im geheimen sehnt er sich nach seiner großen Liebe Marta (Nora Lentner). Molina ist auch in Gedanken bei seinem Kellner Gabriel, in den er unglücklich verliebt ist, aber vor allem ist er in Gedanken bei seiner Mutter (Angela Mehling). Von der Gefängnisleitung (Cusch Jung) erfährt Molina, dass seine Mutter krank sei und gerät in einen Gewissenskonflikt: Man verspricht ihm die vorzeitige Entlassung, wenn er Valentin bespitzelt. Die Ereignisse in der Zelle überschlagen sich und langsam findet Valentin Gefallen an der Traumwelt Molinas und seiner Aurora.

Es entwickelt sich eine Freundschaft mit viel Zuneigung zwischen den beiden Männern. Molina erzählt Valentin voller Begeisterung von einem der unzähligen Filme Auroras und Valentin erzählt Molina von seiner ärmlichen Kindheit, der sich die Guerilla-Bewegung anschließt.

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Zum Schein lässt sich Molina auf einen Deal mit der Gefängnisleitung ein, um seine und Valentins Situation zu verbessern. Molina wird wegen guter Führung frühzeitig entlassen. Valentin bittet Molina beim Abschied darum, Marta eine Nachricht zukommen zulassen. Allerdings wird Molina weiterhin überwacht und beim Versuch Marta ausfindig zu machen, erneut inhaftiert. Nachdem Molina während der Folter keine Namen bekannt gibt, wird er vor Valentins Augen erschossen.

Mit seiner sensiblen und gefühlvollen Regiearbeit hat Cusch Jung harte Themen bühnenfähig gemacht und alle Charaktere der Handlung sind stimmig herausgearbeitet. Man versteht die Zusammenhänge der Abhängigkeit, sowie der Gefangenheit in den Gefühlen und Denkweisen.

Mit seiner Darstellung des Gefängnisaufsehers, der zumeist auf der oberen Ebene seine entscheidenden Anweisungen gibt und Aufträge für Grausamkeiten an den Häftlingen erteilt, hat Cusch Jung noch eine zweite große Leistung vollbracht. Im Fokus eines grellen Scheinwerfers, mithilfe seiner eindringlichen Stimme und Mimik, hat er diese Rolle so kreiert, dass sich auch mancher Zuschauer eingeschüchtert fühlen konnte.

Seine beiden Wärter (Milko Milev und Radoslav Rydlewski) konnten also die Anweisungen befolgen und in ihren Gesichtern las man das verräterische Lächeln. Ein Lachen, welches den Genuss an den Misshandlungen symbolische Aussagekraft verleiht.

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Angela Mehling als Molinas Mutter und Nora Lentner als Valentins Traumfrau Marta überzeugten mit ihren gesanglich mit den Hauptprotagonisten im Duett bzw. Quartett.

Anke Fiedler spielte und sang mal sexy, verführerisch, mal bestimmend, bedrohlich, dramatisch und immer stark eine Aurora/Spinnenfrau, die in ihren Szenen stets präsent und eindrucksstark war. Gekonnt lenkte sie, umgeben vom Ballett, die Aufmerksamkeit auf sich und tanzte als Mittelpunkt von Molinas Erinnerungen über die gesamte Bühne.

Als Revolutionär Valentin konnte Friedrich Rau eine neue Facette seines Könnens zeigen. Überzeugend mimte und sang er sich den gesamten Abend mal hart und bestimmend, mal weich und berührend in das Herz seines Zellengenossen. Man nahm ihm den verbitterten Kämpfer sofort ab und konnte seine Wandlung zum gefühlvollen Liebenden nachvollziehen. Er durchlebt als Valentin die “Hölle” Gefängnis und findet nach und nach Vertrauen zu Molina. Durch seine wandelbare Stimme – in den tiefen Sequenzen stark und beherrscht und in der Höhe gefühlvoll, fast schon zerbrechlich – kann er in dieser Rolle zeigen, was in ihm steckt und wie er sich in den letzten Jahren gesteigert hat.

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Seinen Gegenpart als Molina bildet großartig Gaines Hall mit seinem Gesang und Schauspiel. Gekonnt durch kleine Gesten und Blicke, wie etwa das Hochziehen einer Augenbraue, seine Arm- bzw. Handhaltung oder das Umwerfen eines Schals angedeutet, erkennt man sofort den homosexuellen Schaufensterdekorateur, den er darstellt. Man bemerkt aber auch die Zerrissenheit des Charakters seiner Rolle durch seine besondere Bühnenpräsenz. Mit Bravour verkörpert er den Häftling, der in Freiheit leben möchte, dazu aber seinen Mithäftling verraten muss und dies zu vermeiden sucht. Der Zwiespalt seiner Gefühle und die Grausamkeit im Gefängnis lassen ihn in seine Erinnerungen flüchten, doch auch dort gibt es etwas, was ihm Angst einflößt. Die Spinnenfrau in seiner Fantasie glaubt er auch in Wirklichkeit zu sehen. Intensiv und bewegend spielt er Molina.

Der Herrenchor und Extrachor der Musikalischen Komödie spielte und sang weitere Häftlinge und bildete eine stimmige Umrahmung der Hauptrollen.

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Unter der Leitung von Christoph-Johannes Eichhorn spielte das Orchester der MuKo und mit einem gut abgestimmten Sound. Gesang und Melodie passten perfekt zueinander, obwohl das Orchester im Westbad seinen Platz hinter der Bühne fand.

Auch das Ballett war eine Bereicherung in den großen Tanzszenen und konnte schon an Revuenummern in diversen Shows erinnern. Von Samba über Tango wurden die Szenen mit Aurora getanzt und entführten in Zeiten der großen Tanzfilme und Shows. Die Choreografie stammt von Melissa King. 

Alles in allem eine große Glanzleistung aller Beteiligten und ein Glücksgriff mit den drei Gästen in den Hauptrollen! Die Geschichte vom „Kuss der Spinnenfrau“ ist durchaus keine leichte Kost, aber dennoch ein Stück, welches man gesehen haben sollte. Thematisch aktueller denn je und musikalisch ein bunter Mix verschiedener Rhythmen. Aber am Ende wartet kein klassisches Happy End auf die Zuschauer, sondern eine Moral, die zum Nachdenken anregt.

Vorstellungen gibt es noch bis zum 10. Mai 2020. Tickets und weitere Informationen unter www.oper-leipzig.de


Artikel von Silke H. in Zusammenarbeit mit Anna-Virginia für Bühnenlichter.de


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