Interview – Kevin Schmid und die Leidenschaft zum Tanz

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Gerade verzauberte er noch das Publikum in Berlin, München und Stuttgart und beeindruckte als Erstbesetzung des „White Vampire“ in „Tanz der Vampire“, jetzt ist er bereits dabei für seine nächste Rolle in „West Side Story“ zu proben. Außerdem bereitet er schon zum wiederholten Male das „Tybas Dance Intensive“ in Hamburg vor. Trotz allem hat er sich die Zeit genommen, um mit mir in einem ausführlichen Interview über seine Erfahrungen im Bereich Musical und Tanz zu sprechen. Ein sympathischer junger Mann, dessen Leidenschaft Tanz ihn wohl noch weit bringen wird…

„Tanz der Vampire“ ist eines der erfolgreichsten Stücke im deutschsprachigen Musical. Wie war es für dich, Teil dieses besonderen Stückes zu sein?

Es war für mich schon lange ein Wunsch, Teil der Show und Cast von Tanz der Vampire zu sein. Die Show gehört zu einem der ersten Musicals, die ich mit meiner Familie damals in Hamburg im Alter von 13 oder 14 Jahren gesehen habe. Zu der Zeit in der Neuen Flora war die Show auch noch in einer anderen Größenordnung. Größeres Ensemble, Orchester und Bühnenbild. Die Wendeltreppe, die aus dem Boden kam… Die Show hatte mich total begeistert, musikalisch, aber vor allem als Tänzer war ich von den Tanzszenen begeistert. Als Beispiel: Einmal an diesem Bett so elegant hin und her zu schwingen, das hat mich schon sehr fasziniert und gereizt!
Selbst einmal in dieser Show mitzuwirken, die nun schon seit 20 Jahren mit einer riesen Fancommunity erfolgreich in Deutschland, Österreich sowie auch anderen Ländern läuft, ist ein Privileg, das nicht vielen zu Gute kommt.

22047433_1412938648819659_1065203032_oDu warst schon Teil einiger Produktionen im Musicalbereich, jedoch noch nie bei einer so großen Show wie „Tanz der Vampire“. Was hat dich an dieser Rolle („White Vampire“) gereizt, warum bist du zu dieser bestimmten Audition gegangen?

Da muss ich dir etwas widersprechen, denn ich war zuvor in Mamma Mia!. Und größenmäßig ist die Show vergleichbar mit Tanz der Vampire, wenn nicht sogar durch Broadway und Westend-Erfolg um einiges bekannter und erfolgreicher. Allerdings sind das Bühnenbild und auch die Kostüme bei Tanz der Vampire aufwendiger und größer als bei Mamma Mia!. Nun aber zu der eigentlichen Frage.
Sommer 2013 habe ich meinen Abschluss an der Stage School in Hamburg gemacht. Für einen kleinen TDV-Castwechsel gab es etwa ein Jahr vorher eine Audition. Im Gegensatz zu meiner Mitschülerin Dorothea Baumann (wir waren im gleichen Jahrgang), die dann den Job bekommen hat, habe ich mich damals nicht beworben, da ich meine Ausbildung ohne Unterbrechung abschließen wollte. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass TDV demnächst Deutschland für ungewisse Zeit verlässt und nach Paris weiter zieht, was mich anschließend geärgert hat, weil die Chance nach der Ausbildung auf die Show damit erst mal verflogen war. Heute allerdings bin ich froh, denn damals wäre ich für die Show noch nicht bereit gewesen. Ende 2015 und bereits mit der Erfahrung für Stage Entertainment und in Mamma Mia! gearbeitet zu haben, habe ich mich dann zum ersten Mal für die Audition beworben, mit dem Ziel, einen Platz in der Show zu bekommen.
Die Position war mir vorerst nicht wichtig, allerdings insgeheim habe ich natürlich schon auf den White Vampire (Tanzsolist) gehofft. Selbst habe ich aber nicht damit gerechnet, zu groß waren die Selbstzweifel, ob es für die Erstbesetzung und die Position als Tanzsolist reicht. Als dann der Anruf kam und die Nachricht, dass ich der White Vampire für die kommende Tourproduktion bin, konnte ich es kaum fassen und hatte große Vorfreude auf das Kommende.

22015252_1412938542153003_988404458_oDie Choreographien bei diesem Stück tragen maßgeblich zum Erfolg des Stückes bei, vor allem weil sie so spektakulär sind. Wie lange probt man bis diese Tanzszenen in Fleisch und Blut übergegangen sind und gibt es bei jeder Show immer noch ein kleines Risiko, dass etwas schiefgehen könnte?

Eine Probenphase für eine Produktion wie Tanz der Vampire dauert im Durchschnitt 6-7 Wochen. In dieser Zeit wird alles erlernt, was es für die Show braucht. Für die einzelnen Tanzszenen hat man allerdings nur wenige Tage und Stunden. Da bedarf es höchster Konzentration und Disziplin. In unserer Probenphase haben wir bereits einen Durchlauf am Ende der zweiten Woche gemacht. Noch ohne Kostüme, Make-Up, Licht etc. und das originale Bühnenbild. Das war eine sehr kurze Zeit! Danach hieß es, an dem Feinschliff zu arbeiten. Für mich persönlich konnte ich erst nach der Premiere in meine Rollen und Charaktere wachsen. Wenn der Druck etwas nachlässt und man anfängt, die Show zu genießen, findet man seinen eigenen Weg, mehr Persönlichkeit einzubringen. Das Risiko, dass Fehler passieren, ist aber immer da, egal wie viel Routine man hat.

Du tanzt schon sehr lange. Wann hast du zum ersten Mal getanzt und was hat dich daran so fasziniert?

Mit dem Tanzen habe ich im Alter von 5 oder 6 Jahren begonnen. Damals bin ich im Ski-Urlaub in Kontakt mit dem Macarena-Partytanz gekommen. Da hat es mich gepackt und nicht mehr losgelassen. So lustig es auch ist, aber um es mit den Worten als ehemaliger Vampir auszudrücken: Es hat mich infiziert und diese Liebe stirbt nie! Im Herzen bin ich immer ein Tänzer. Musical kam erst später dazu. Und wenn man mich heute einen Musicaldarsteller nennt, bevorzuge ich die Bezeichnung als Tänzer. Ich lass mich nicht gern in eine Schublade stecken. Tanzen steht für mich aber immer an erster Stelle!

Es gibt so viele unterschiedliche Tanzrichtungen und –stile, du hast bereits sehr Vieles gemacht. Kannst du sagen, was dein Lieblingstanzstil ist? Gibt es einen Favoriten?

Meine Wurzeln liegen im Hip Hop und Jazz Funk (Commercial Dance). Durch meine Ausbildung an der Stage School Hamburg habe ich 3 Jahre lang in Jazz und Ballett die Technik trainiert und bin auch mit Contemporary in Kontakt gekommen. In Contemporary und Jazz habe ich eine neue Leidenschaft entdeckt und bin zurzeit aufgrund meiner beruflichen Situation eher in diesen Stilen tätig. Aber ich vermisse es schon sehr, mich im Hip Hop und Jazz Funk austoben zu können. Ich probiere und bilde mich gerne in anderen Stilen wie Voguing, Dancehall oder House u.v.m. weiter. Ich bin sehr flexibel, vielseitig, offen für Neues und lege mich nicht fest!

Du arbeitest schon seit deinem 14. Lebensjahr auch als Choreograph und unterrichtest sehr viel neben deinem Beruf als Musicaldarsteller. Wie gibst du dein Können und deine Leidenschaft für das Tanzen weiter? Kann man tanzen ohne zu fühlen, was man ausdrücken möchte? Was ist für dich als Tanzlehrer wichtiger: Präzession und Technik oder Ausdruck und Gefühle?

Ja, mit 14 Jahren, so jung… Verrückt, dass ich so früh eigentlich schon damit angefangen habe, habe ich doch selbst noch gelernt und hatte noch nicht viel Erfahrung. Und auch heute lerne ich noch dazu! Ich habe in meinem kleinen Dorf mit ca. 1000 Einwohnern in Zusammenarbeit mit dem Turn und Sportverein angefangen zu unterrichten. In der Umgebung gab es nur wenig Angebot. Die nächste größere Stadt Kassel liegt etwa 30 km entfernt. Zu weit für viele Eltern, um sie in den Tanzunterricht zu bringen. Nicht alle Eltern unterstützen ihre Kinder in ihrem Hobby und mit einer Leidenschaft wie meine Mutter und mein Vater es taten… vielen Dank nochmal an euch beide dafür! Ich wollte damals mein Wissen und meine Erfahrung weitergeben an andere Kinder und Jugendliche, damit diese genauso wie ich den Spaß am Tanzen entdecken können. Tanzen ist vordergründig für die meisten Spaß und Abwechslung zum Alltag. Nicht jeder, der tanzt, möchte ein großartiger Tänzer werden und eine Profession draus machen. Ich glaube, jeder, der tanzt, fühlt in diesem Moment etwas. Ich liebe Präzession und Technik. Harte Arbeit ist der Schlüssel dafür und es gehört beim Tanzen ebenso dazu wie Ausdruck und Gefühle. Aber um mich zu berühren, sind Ausdruck und Gefühl beim Tanzen wichtiger. Die Emotionen, die man in seine Bewegungen transportiert, sind der geheime Schlüssel, mich als Zuschauer zu berühren.

Nachdem du dich jahrelang mit dem Tanzen beschäftigt hast, ging dein Weg irgendwann in Richtung Musical und du hast eine Ausbildung an der Stage School in Hamburg absolviert. Wann hat sich dein Interesse für den Beruf Musical entwickelt?

Mein Interesse am Musical wurde als Zuschauer in jungen Jahren geweckt. In Shows wie Phantom der Oper, Elisabeth und Tanz der Vampire oder Tanzfilmen wie Dirty Dancing und Grease habe ich die Vielfältigkeit und großartigen Inszenierungen geliebt. Nicht nur tänzerisch, auch gesanglich und schauspielerisch. Diese 3 Elemente zu verbinden ist eine Kunst für sich und hat den Drang, in mir selbst auch mal in ähnlichen Formaten auf der Bühne zu stehen, geweckt. Mit Eigenproduktionen einer Tanzschule habe ich bereits bei Aufführungen von Arielle die Meerjungfrau und auch Tanz der Vampire in kleineren Rollen wie Scuttle oder dem kleinen Vampir erste Schauspielerfahrungen gesammelt. Allerdings hat dort keiner selbst gesungen, es kam alles von der CD. Bei einem Workshop der Stage School in Kassel mit 14 Jahren habe ich dann zum ersten Mal alle drei Elemente verbunden und meine ersten Gesangserfahrungen gemacht. Diese Tage haben das Interesse zum ausgebildeten Musicaldarsteller bzw. eine Ausbildung in den Sparten Tanz, Gesang und Schauspiel gestärkt. Eine reine Tanzausbildung war für mich weniger von Interesse.

Ein Musicalstudium beinhaltet neben Tanz auch Schauspiel und Gesang. Wie waren diese neuen Erfahrungen für dich, da du ja aus dem tänzerischen Bereich kommst?

Die Ausbildung zum Bühnendarsteller an der Stage School Hamburg war vor allem viel Neuland für mich. Zwar stand ich jahrelang selbst schon auf verschiedensten Bühnen, sowohl alleine als auch mit anderen in Gruppen, aber immer als Tänzer. Es war für mich weniger die Herausforderung, zu erlernen, auf der Bühne vor Publikum zu stehen.
Dennoch war es auch tänzerisch für mich eine Herausforderung und in gewisser Weise habe ich bei Null angefangen. Hatte ich mich zuvor eher zu Hip Hop und Pop Musik in Sneakers und weiter Kleidung bewegt, trug ich nun Ballettschläppchen und enge Tanzkleidung und stand an der Stange. Auch in Jazz musste ich eine gute solide Technik entwickeln. Aber Gesang und Schauspiel waren eine weit größere Herausforderung, hatte ich hier nur wenig Erfahrung und Training in den vergangenen Jahren.
Es hat Überwindung gekostet, vor anderen Mitschülern zu singen und zu lernen, wie man einen Song interpretiert und sich natürlich dazu bewegt ohne irgendwelche Boyband-Bewegungen zu benutzen. Seinen Gefühlen im Schauspiel freien Lauf zu lassen und die bühnengeeigneten Sprechtechniken zu erlernen, fiel mir schwer. Auch nach der Ausbildung arbeite ich weiter an diesen Punkten, sind 3 Jahre doch eine knappe Zeit um sich in allen 3 Sparten ausreichend zu entwickeln.

2014 wurde zum ersten Mal das „Tybas Dance Intensive“ abgehalten, ein Event welches du ins Leben gerufen hast und welches diesen Herbst (14. & 15. Oktober 2017) schon zum sechsten Mal in Hamburg stattfindet. Wann kam dir die Idee für dieses Tanzevent (mehrere Kurse in verschiedenen Tanzrichtungen abgehalten von nationalen und internationalen Lehrern) und welche Message möchtest du eventuell damit vermitteln?

Die Idee kam, als das Tybas Dance Center (Leitung Tanja Villinger) in die Tanzräumlichkeiten (Valentinskamp) der alten Stage School gezogen ist. Dadurch eröffnete sich die Möglichkeit, durch mehrere Tanzräume ein Event zu gestalten, an dem an 2 Tagen parallel mehrere Tanzklassen stattfinden. Meine Vision war es, viele internationale und nationale Tänzer, Choreografen, Lehrer und Tanzschüler zusammenzubringen, damit sich so die Möglichkeit bietet, sich intensiv tänzerisch auszutauschen in verschiedensten Stilen von Hip Hop bis Ballett bis hin zu nicht so bekannten Tanzstilen wie Voguing, Waacking und House als Beispiel. Viele Tänzer sind gut und fit in einem Stil, haben sich aber wenig in anderen Stilen bewegt und ausprobiert.
Das Ziel ist, den Horizont zu erweitern sowohl in verschiedenen Stilen, aber auch zu sehen, auf welchem Niveau international z.B. in London oder Los Angeles gearbeitet und unterrichtet wird. Das Tybas Dance Intensive soll allerdings nicht nur für fortgeschrittene und professionelle Tänzer eine Plattform sein, sondern auch für Anfänger und Hobbytänzer. Aus diesem Grund bieten wir verschiedene Levels in den Tanzklassen an, so dass für jeden etwas dabei ist.

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2015 warst du Teilnehmer bei der TV-Sendung „Got to Dance“. Welche Erfahrungen konntest du während dieser Zeit mitnehmen und wie ist es, wenn man wirklich bei einer TV-Show dabei ist und sie nicht nur ihm Fernsehen sieht?

Got o Dance 2015 fand zu meiner Mamma Mia!-Zeit statt und kam mir bei 7-8 Shows die Woche als Abwechslung nebenbei gerade recht. Die Anfrage zur Bewerbung kam von Seiten der Produktionsfirma, da diese im Internet auf mich und meine Tanzformation aufmerksam geworden ist. Got to Dance war eine Herausforderung und ein Kick, den ich mir nochmal gönnen wollte. Schließlich war dies nicht meine erste Castingshow. So habe ich 2007 bereits im Alter von 17 Jahren bei Dancestar mit Detlef D! Soost mitgemacht und kam unter die letzten 10. Dies Erfahrung half mir, doch die Anforderung an mich war noch größer, war ich als Solo-Act ganz auf mich allein gestellt. Es lastete ein enormer Druck auf mir, wollte ich nicht nur tänzerisch auch choreographisch überzeugen, da ich mit meinen eigenen Choreographien antrat mit einem Tanzstil, den ich selbst erst seit Anfang meiner Ausbildung in Hamburg studiert habe.
Am Ende habe ich es bis ins Semifinale geschafft und bin bei den Battles ausgeschieden.
Schade, aber es war eine tolle Erfahrung mit positiven, aber auch negativen Aspekten, die eine TV- und Castingshow so mit sich bringt. Mein Highlight bei Got to Dance war die Live & Solo-Performance im Halbfinale vor einem Millionenpublikum. Ein einmaliges Erlebnis!


Musicaldarsteller, Choreograph, Tänzer – du hast einige vielseitige Standbeine. Welchen Weg stellst du dir für deine Zukunft vor? In welche Richtung würdest du beruflich am liebsten gehen oder macht es die Mischung für dich aus?

Momentan definitiv die Mischung. Nachdem ich allerdings bereits für viele Jahre intensiv unterrichtet habe, genieße ich es, zurzeit verstärkt auf der Bühne zu stehen.
Für die Zukunft bin ich noch unentschlossen, wohin es gehen soll, ist es doch ungewiss und sehr davon abhängig, in welche Richtung es mich in den nächsten Jahren beruflich zieht. Aber der große Wunsch ist es, als Choreograph zu arbeiten. Neue Shows mit eigenen Choreographien und Inszenierungen, das ist das Ziel. Dennoch könnte ich mir auch vorstellen, eine eigene Tanzschule zu gründen, eventuell mit der Verbindung einer Agentur für Events oder Künstlervermittlung.

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Lieber Kevin, ich danke dir für dein Interesse an einem Interview mit uns und vor allem für die Zeit, die du dir für meine Fragen genommen hast. Auf diesem Weg wünsche ich dir ebenfalls alles Gute für deinen weiteren beruflichen und privaten Lebensweg. Wir werden hoffentlich noch viel von dir hören in den nächsten Jahren. Mit etwas Glück sehen wir uns schon bald bei einem deiner nächsten Auftritte oder Engagements und können persönlich ein kleines Gespräch führen.


Interview von Rebecca