“Fast Normal – Next to Normal”: Interview mit Kurosch Abbasi, Lukas Sandmann und Felicitas Geipel!

Kurz nach der Premiere der hessischen Uraufführung von “Fast Normal – Next to Normal” durften wir am 03. August 2019 nicht nur die Show in der Waggonhalle Marburg besuchen (hier gehts zu unserem Bericht), sondern vorher auch noch ein wirklich tolles und interessantes Interview mit KUROSCH ABBASI, LUKAS SANDMANN und FELICITAS GEIPEL führen…

Kurosch, in St. Gallen hast du in der Uraufführung von „Don Camillo & Peppone“ die Rolle des Mariolino verkörpert und hast diese Rolle 2017 auch in Wien gespielt. Was bedeutet dir dieses Stück und wirst du dir die aktuell laufende Inszenierung in Tecklenburg anschauen?

Kurosch: Das Stück hat für mich sehr viel Bedeutung, weil es eine Uraufführung war. Das heißt, ich konnte die Rolle des Mariolino maßgeblich mitkreieren. Andreas Gergen, der Regisseur, hat mir da relativ freie Hand gelassen und wir durften alle sehr viel von uns selbst mit einbringen. Das Besondere an dem Stück ist, dass es absolutes Teamwork ist. Das Stück heißt zwar „Don Camillo und Peppone“, aber ohne die ganzen anderen Rollen würde das ganze Stück überhaupt nicht funktionieren. Für mich war das in St. Gallen am Uraufführungsort und dann in der österreichischen Erstaufführung in Wien eine ganz, ganz besondere und intensive Zeit mit dem Ensemble. Wir haben immer am Stück weitergearbeitet und es in Wien bei jeder Vorstellung nochmal überarbeitet und ich denke, dass die Kollegen für Tecklenburg jetzt eine ganz tolle Fassung haben mit der sie arbeiten können. Ich denke, die Tecklenburger haben eine sehr erfolgreiche Spielzeit. Leider schaffe ich es nicht, da hinzukommen, weil ich ja hier in der Waggonhalle in Marburg Produktionsleiter der hessischen Erstaufführung von „Fast Normal – Next to Normal“ bin und meine tollen Darsteller und Darstellerinnen mich jeden Abend brauchen. Aber ich sende ganz liebe Grüße nach Tecklenburg!

Die nächste Frage hast du mir jetzt schon ein bisschen vorweggenommen. Es geht um die Produktionsleitung hier in Marburg bei „Fast Normal – Next to Normal“. Wie hast du die Arbeit in der Waggonhalle mit dem Team und dem Ensemble erlebt?

Kurosch: Wenn ich es mit einem Wort beschreiben müsste, wäre das: INTENSIV! Es war eine sehr, sehr intensive Zeit. Wir haben uns nicht nur unfassbar talentierte Darsteller und Darstellerinnen in die Cast geholt, sondern auch Menschen, bei denen wir auch davon ausgegangen sind, dass wir mit ihnen auch Lebenszeit verbringen möchten. Diese Menschen müssen zu uns passen, wir müssen zu denen passen und sie müssen auch untereinander super zueinander passen. Nur so funktioniert dieses Stück. Das ist bei einem Casting ganz schwer, denn du hast manchmal nur 10 Minuten, um zu entscheiden: passt die Person vor dir fachlich? Könnte sie auch mit dem Darsteller XY zusammenpassen und harmoniert das? Und das ist in gewisser Weise ein Risiko. Aber es ist uns zu 110% gelungen (lacht).

Kurosch Abbasi
Kurosch Abbasi

Wir kommen nochmal kurz allgemein auf deine Rollen zu sprechen. Du warst ja schon in sehr vielen Rollen im In- und Ausland zu sehen. Gibt es eine Rolle, über die du heute sagst, dass du sie so nie wieder spielen würdest? Und welche deiner bisherigen Rollen hast du am Liebsten gespielt und warum?

Kurosch: Ich würde keine meiner Rollen so spielen wie vor ein paar Jahren. Die Erfahrung, die ich in den letzten Jahren sammeln konnte, hat mich auch in den Rollen weitergebracht und am meisten konnte ich das in der Rolle des Lucheni umsetzen. Die Rolle habe ich über sieben Jahre für mich maßgeblich weiterentwickelt und diese in circa 20 Städten weltweit spielen dürfen. Und das Publikum war auch so unterschiedlich, d.h. ich glaube, wenn ich heute wieder auf die Bühne gehen würde und dieses Stück spielen würde, wäre das wieder eine ganz andere Interpretation.

Welche Rolle würde ich am Liebsten wieder spielen? Das ist auch die Rolle des Lucheni, weil diese Rolle etwas hat. Ich habe sie mir so zu eigen gemacht, dass ich irgendwann gar nicht mehr das Gefühl hatte, dass ich sie spiele, sondern, dass ich es wirklich bin. Also es gab nicht irgendein Ritual, das ich brauchte, um in die Rolle einzutauchen, es war durch die Vorarbeit so, dass die Rolle irgendwann eins mit mir geworden ist und ich könnte sie, glaube ich, morgens um 3:00 Uhr noch abrufen. Aber es war für mich auch irgendwann ein wichtiger Schritt, loszulassen und nicht mehr auf Anfragen hin zu sagen: „ich mache es jetzt doch noch einmal“. Auch alles Schöne hat auch irgendwann seine Zeit und ich liebe es, neue Sachen zu entdecken und finde es deshalb so toll, jetzt in der Position des Produktionsleiters, diese hessische Erstaufführung auf die Bühne bringen zu können.

Nach unseren Informationen hast du den Lucheni ungefähr 950 Mal gespielt…

Kurosch: Knapp an die Tausend, ja.

Da war ja unter anderem auch China dabei. Ist es wirklich so, dass die asiatischen Fans im positiven Sinne so viel verrückter als die Musicalfans in Deutschland sind?

Lukas: Ja, made in Germany, ne. Es ist tatsächlich so. Als Beispiel „I am from Austria“, was ja jetzt in Japan spielt. Da sind die Tickets Monate im Voraus alle ausverkauft. Da gibt’s keine Karten mehr. Die haben utopische Preise, mit denen du in Deutschland noch nicht mal fünf Leute ins Theater kriegst, aber das zahlen die dort liebend gerne. Das ist made in Germany.

Kurosch: Es ist in dem Fall ja made in Austria (lacht). Das chinesische Publikum ist sehr musicalaffin und je historischer das Thema ist, umso lieber gehen sie ins Theater. Es ist nicht so, dass sie zu „Elisabeth“ kommen und überhaupt keine Ahnung haben, worum es geht, sondern im Idealfall schon eine Reise nach Wien gemacht haben und sich alle Sehenswürdigkeiten angeschaut haben. Aber der große Unterschied zum europäischen Zuschauer ist, dass die wirklich ausrasten. Also es ist insofern ein Rock/Pop-Konzert. Beim Schlussapplaus – das Theater hatte 5.000 Plätze – zücken alle das Handy und es geht total ab. An der Stagedoor in Wien standen jeden Abend 200 Leute, in China war es so, dass Minimum jeden Abend 1.000 bis 1.500 Leute standen und jeder ein Geschenk dabei hatte. Die Wertschätzung für den Darsteller ist unglaublich groß und die süßen Geschenke waren fast immer Tee, denn das ist gut für die Stimme (lacht). Also, die asiatischen Fans sind sehr, sehr höflich. Sie stehen auch immer ganz in Spalier am Rand, die würden auch niemals aufdringlich werden. Sie warten, bis die Person kommt und dass sie danke sagen können. Die „Elisabeth“-Cast, die 2015 in China war, war die erste deutschsprachige Musicalproduktion überhaupt in China und wir wussten überhaupt nicht, wie das ankommen wird. Ich kann mich erinnern, als der Prolog kam und ich als Erster raus musste. Mir ging nur durch den Kopf: „Wie wird das heute Abend ankommen? Die verstehen ja das Meiste der deutschen Sprache nicht.“. Aber sie wussten halt, worum es geht und dementsprechend konnten sie dem Stück eins zu eins folgen. Das war eine sehr, sehr, sehr schöne Erfahrung und der Erfolg von damals gibt uns Recht, dass heute immer noch Produktionen made in Austria, der Vereinigten Bühnen Wien, nach Japan oder nach Korea gehen.

Felicitas, du spielst in „Fast Normal – Next to Normal“ die Hauptrolle der Diana Goodman, die an einer bipolaren Störung leidet. Wie bereitet man sich auf ein Stück mit so einem ernsten Thema vor?

Felicitas: Ich habe mich tatsächlich gar nicht darauf vorbereitet, weil ich das auf mich zukommen lassen wollte. Ich wollte da ganz unbelastet sein und habe mich nicht ins Thema eingelesen. Ich wollte es tatsächlich mal so ganz pur auf mich zukommen lassen und schauen, was sich im Laufe der Proben so entwickelt und auch in der Zusammenarbeit mit unserem Coach, der sowohl Schauspieler als auch Psychotherapeut ist und sich natürlich total in diesem Thema auskennt. Er konnte uns dann genau sagen, wenn wir in so ein Klischeedenken reingerutscht sind und wie wir uns das richtig vorzustellen haben. So haben wir versucht, es möglichst in die realistische Schiene zu bringen, aber trotzdem noch so ein bisschen Klischee drin zu lassen, damit Außenstehende, die wirklich keine Ahnung von der Krankheit haben, es wiedererkennen. Es differenziert manchmal so sehr, dass man da vielleicht ein bisschen Realität und Fiktion miteinander vermischen muss, damit es die Geschichte erzählt.

Felicitas Geipel
Felicitas Geipel

Besteht da nicht die Gefahr, dass man die Rolle zu sehr überspielt, wenn man sich so gar nicht mit dem Thema auseinandergesetzt hat?

Felicitas: Es war tatsächlich das genaue Gegenteil, sodass unser Coach gemeint hat, wir können da noch eine ganze Schippe obendrauf legen. Irgendwann findet man dann den Pegel wie es gut so ist, dass es realitätsnah ist, aber noch erträglich zum Zuschauen, ohne das es einen total umhaut.

Wie lange ging die Probenphase und wie war der Ablauf der Proben?

Lukas: Ich glaube, da kann Fee (Felicitas) etwas mehr dazu erzählen, denn ich war einen Teil davon nicht da, weil ich noch andere Produktionen hatte. Aber für mich war es total schön, weil es für mich immer total toll war, zu den Proben zu kommen. Für mich war zwar die Anfahrt immer relativ lange, aber es war immer schön, da zu sein, mit den Kollegen zu spielen und zu überlegen, was wir im Stück noch anders machen können. Es war ja auch nie so, dass Jens, unser Regisseur, gesagt hat wie er was haben will, sondern es war immer so ein Geben und Nehmen. Man hat richtig gut zusammengearbeitet und das kann ich auch daraus mitnehmen. Deswegen meinte Kurosch auch, dass es eine sehr intensive Zeit gewesen ist, denn es war nicht einfach nur Probe, sondern es war auch ein bisschen so, dass man die Lebenszeit miteinander verbracht hat. Das war total schön. Fee und ich haben uns da sehr gut geholfen und uns gefunden. Wir kannten uns vorher nicht wirklich, vielleicht nur mal so vom Namen oder so, aber es ist eine sehr, sehr gute Freundschaft daraus entstanden.

Kurosch: Und das war uns halt beim Casting auch wichtig. Ich glaube nicht, dass das Stück funktioniert, wenn die Darsteller sich privat nicht leiden können. Ich glaube, dass das einfach nicht professionell umsetzbar ist. Man hat eine Ebene oder eine Distanz, die dann einfach das Stück ruinieren wird. Deshalb muss man gucken, dass man einfach sehr sozial verträgliche und sozial kompetente Menschen findet, die wirklich auch Lust haben, Zeit miteinander zu verbringen und vor allem eine sehr intensive Zeit. Das Schöne für mich ist, dass sie jetzt nicht nur Kollegen sind, sondern auch richtige Freundschaften geschlossen wurden.

Felicitas: Das kann ich alles echt nur unterschreiben. Ich weiß gar nicht, was ich noch dazu sagen soll (lacht).

Wie lange habt ihr insgesamt geprobt?

Lukas: Wir haben Ende Januar angefangen und dann fast jedes zweite Wochenende durchgezogen bis vor zwei, drei Wochen und dann zwei Wochen durch.

Kurosch: Also, wenn man die Zeit zusammenzählt, ist es eine ganz normale Probenzeit wie am Theater auch. Das sind sechs Wochen. Bei uns war es einfach nur gesplittet, weil viele natürlich auch andere Projekte haben, denen sie nachgehen. Deshalb haben wir diese Version gefunden, dass wir uns am Wochenende in Gießen treffen, uns intensiv einschließen von 10:00 Uhr bis 22:00 Uhr, aber danach auch private Zeit miteinander verbringen. Also wir sind auch zusammen essen gegangen, haben uns zusammen an den See gesetzt und das gehört auch dazu. Das ist natürlich etwas, das in einem großen Haus in so einer Form gar nicht möglich ist. Hier sind die Wege viel kürzer und das hat dem Stück und den Menschen, glaube ich, unglaublich gutgetan.

Am 30. Juli 2019 habt ihr mit „Fast Normal – Next to Normal“ erfolgreich Premiere gefeiert. Wie war für euch der Premierentag?

Felicitas: Ich war tagsüber unglaublich aufgeregt. Es war irgendwie schon ziemlicher Druck und ich habe gedacht, das überlebe ich nie und wenn ich abends die ersten Töne höre, dann falle ich einfach in Ohnmacht (lacht). Aber tatsächlich war es dann so, dass man kurz bevor es losging, so die gewohnten Abläufe, die man die letzten Tage schon einstudiert hat, durchgegangen ist. Sich zurecht machen, die Requisiten einrichten, das Bühnenbild so herrichten, wie es sein muss und dann habe ich gemerkt, wie so langsam eine innere Ruhe kam. Und die ganze Show über hatte ich das Gefühl, ich war so ein bisschen neben mir, weil alles noch nicht so diese Spielroutine hatte. Es war das erste Mal mit Publikumsreaktionen und das war schon ein bisschen sehr aufregend. Aber danach bin ich wie aufgewacht und war einfach nur glücklich, erleichtert und euphorisch und alles gleichzeitig. Es war wirklich ein krasses Gefühl.

Lukas: Bei mir war es genau andersrum. Ich war den ganzen Tag total entspannt und drei Minuten vorher ging es los. Ich bin dann nochmal im Schnelldurchlauf die Texte alle durchgegangen und hab mich dann nochmal hingesetzt. Ich habe so ein kleines Ritual: wenn ich weiß, ich habe jetzt alles gemacht, dann kann ich an der Situation ja nichts mehr verändern. Ich habe das von meiner Mutter gelernt. Ich gebe das Stück dann ab, das hat in dem Moment mit mir dann nichts mehr zu tun. Das wird dann wie durch eine Hand gespielt, weil sie weiß, dass ich das alles kann. Und ich muss sagen, für mich waren das nochmal 40% drauf was ich dann am Premierentag gespielt habe. Das war wirklich nochmal ein anderes Level und viel mehr im Stück drin. Es war total schön. Es war auch ein bisschen schön, Kurosch ein bisschen zu Tränen gerührt am Rand stehen zu sehen. Das zeigt einfach, dass man dann doch als Team was unglaublich Schönes auf die Bühne stellen kann, womit alle zufrieden sind und alle das vor allem auch vertreten können, was wir machen. Das hast du auch nicht immer.

Kurosch: Mir persönlich ist ein Stein vom Herzen gefallen, weil diese Welle der Euphorie, des Glücks und der Liebe, die die Zuschauer auch an uns dann wieder zurückgesandt haben, unglaublich war. Der letzte Scheinwerfer ist ausgegangen und die Zuschauer sind sofort aufgestanden. Und das ist bei einem Premierenpublikum natürlich nicht immer gegeben. Es sind sehr viele geladene Gäste da gewesen und sehr wichtige Persönlichkeiten. Wir hatten zum Beispiel die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, hier und die ganzen hohen Verantwortlichen der Stadt Marburg und viele Pressevertreter. Mein Produktionsleiterkollege Tom Feldrappe und ich standen sehr unter Druck das der Abend reibungslos abläuft und dass in unseren Augen alles perfekt umgesetzt wird. In erster Linie natürlich aber auch für die Darsteller und für die Band, damit sie sich einfach wohlfühlen können und diesen Abend auch genießen können. Rückwirkend betrachtet muss ich sagen: was ich an dem Abend erlebt habe, habe ich lange nicht mehr an einer Premiere erlebt. Wenn ich in die Augen der Zuschauer geschaut habe, die haben ganz feuchte Augen gehabt, sie waren emotional berührt und die Feedbacks waren wirklich überwältigend.

Was ist für euch persönlich das Besondere an dem Beruf Musicaldarsteller/in?

Kurosch: Ich erzähle gerne Geschichten und ich liebe es, dass Menschen in eine Räumlichkeit gehen und sich auf etwas ganz Neues einlassen. Der Alltag ist manchmal rau, man arbeitet viel. Und man verliert sich ja auch in dem System, dass man morgens aufsteht, arbeiten geht, dann hat man tausend andere Verpflichtungen, Hobbies und Vereine und dann geht man abends wieder ins Bett. Da ist Theater manchmal wie so ein Kurzurlaub. Man geht da rein, verliert sich zweieinhalb Stunden in eine andere Welt und geht im besten Fall auch noch total beseelt, glücklich und emotional aus dem Abend. Als Darsteller habe ich immer ein Bild vor Augen und so habe ich mich auch bei acht Shows pro Woche immer wieder motiviert. Ich sehe immer vor meinem inneren Auge eine Familie, Papi, Mami und zwei Kinder, die nur heute Abend nur einmal im Jahr das Geld haben, sich diese Tickets zu leisten – und bei den Großproduktionen weiß man ja, dass die noch erheblich teurer sind – und für die gebe ich alles!

Lukas: Ja, dem kann ich mich tatsächlich sehr gut anschließen. Als ich mit Musical angefangen habe, hat man mich mal gefragt, warum ich das denn überhaupt machen will, und ich habe gesagt: die Leute sitzen den ganzen Tag nur im Büro oder fahren viel durch die Gegend und sind ständig unterwegs. Ich will, dass die Leute für zwei oder drei Stunden einfach komplett aus diesem Alltag raus sind, alles vergessen können, entspannen und vielleicht sogar was daraus lernen können. Ich möchte die Leute gerne aus ihrem Alltag entführen. Für uns ist das alles ja auch nicht leicht und dann freue ich mich, wenn ich auf der Bühne stehen kann und mal was Anderes mache. Deswegen ist in diesem Beruf für mich auch so wichtig, dass ich mal was Lustiges spiele, wie in „Fack Ju Göhte“, und dann kommt man nach Marburg und spielt eine ernste Rolle mit einer ernsten Wichtigkeit. Und den Leuten über die Geschichte dann zu erzählen, wie ich diesen Weg gefunden habe, ist total schön. Der Beruf als Musicaldarsteller ist für mich einer, der immer abwechslungsreich ist. Es ist immer anders und es gibt immer neue Situationen, es ist niemals gleich.

Felicitas: Bei mir kommt zusätzlich noch dazu: ich habe ja auch noch ein bürgerliches Leben und ich entfliehe quasi mit mir selbst da raus. Privat habe ich seit einigen Jahren meinen absoluten Traumjob schlechthin, aber es war ja davor auch so, wie die anderen beiden es eben erzählt haben, dass ich genau den Job hatte, aus dem man die Familien entführen will. Sowas brauchte ich für mich halt auch und da war für mich Musical das Beste, was es geben konnte, um neue Welten und neue Charaktere auch an mir entdecken und auch mal nicht ich sein zu können. Ich mag mich so wie ich bin, aber ich habe auch immer großen Spaß daran gehabt auch mal nicht ich zu sein und gerade solche Rollen zu spielen, die das genaue Gegenteil von mir sind.

Angenommen es gäbe keine Theater und kein Musical, welchen Beruf könntet ihr euch stattdessen gut für euch vorstellen?

Lukas: Restaurantfachmann. Das, was ich gelernt habe.

Felicitas: Tierpfleger.

Kurosch: Pilot. Da stand ich auch mit einem Bein schon drin und dann waren meine Eltern geschockt, als ich den anderen Weg gegangen bin. Aber das hat sich zum Glück relativiert, als sie mich dann auf der Bühne gesehen haben. Es hat zwar ein paar Jahre Verarbeitungszeit gebraucht, aber ich bin leidenschaftlicher Segelflieger in jungen Jahren gewesen und das wäre meine erste Wahl gewesen. War es dann aber tatsächlich doch nicht – zum Glück (lacht).

Weil Kurosch es gerade anspricht: wie waren denn allgemein so die Reaktionen eurer Eltern und Familien, als ihr entschieden habt, dass ihr als Musicaldarsteller arbeiten möchtet? Man hört ja oft so Reaktionen wie „Kind, lerne bitte etwas Gescheites“…

Lukas: Du, das kann ich dir direkt so unterschreiben! Meine Mutter hat gesagt: „Ja, mach!“. Meine Eltern sind beide Musiker und sie wussten natürlich, was dieser Beruf mit sich zieht. Meine Mutter ist seit 1992 am gleichen Theater fest angestellt und mein Vater ist Dirigent und ist halt von Stadt zu Stadt, je nachdem, wo es einen Job gab. Meine Mutter hat gesagt: „Wenn du das machen möchtest, dann mach es!“ und mein Vater hat gesagt: „Lerne erstmal was Richtiges und dann können wir da später nochmal drüber reden“. So, und dann habe ich Restaurantfachmann gelernt, hab das abgebrochen, weil es mir zu viel war pro Woche an die 80 Stunden zu arbeiten für einen Apfel und ein Ei. Und dann bin ich Musicaldarsteller geworden. Ja, er hat sich schon irgendwie damit vereinbart. Aber ich glaube, dass meine Eltern trotzdem im schlimmsten Fall immer hinter mir stehen würden und darauf kann ich auch vertrauen.

Felicitas: Ich habe ja was „Gescheites“ gelernt (lacht). Ich habe eigentlich Immobilienkauffrau gelernt, weil meine Mutter eine Hausverwaltung hatte und ich wusste gar nicht, wohin mit mir. Aber das ging überhaupt nicht an mich. Ich hab danach nie in dem Job gearbeitet und bin immer so von einem Job zum nächsten. Ich bin Sekretärin gewesen, habe mich zur Assistentin der Geschäftsleitung hochgearbeitet und war auch mal selbständig mit einem eigenen mobilen Sekretariat, bis ich dann tatsächlich jetzt bei Musik und Bühne gelandet bin und dort die ganze Amateurmusical-Abteilung schmeiße, was für mich natürlich der Himmel auf Erden ist. Aber auf alles, was ich nebenbei immer mit Musical und Bühne gemacht habe, waren meine Eltern immer echt stolz.

Kurosch: Aber das ist ja auch das Wichtigste: es ist eigentlich egal was du machst. Sei stolz darauf, dass du was machst! Es gibt Menschen, die zum Beispiel aus körperlichen Gründen gar keinem Job nachgehen können und manche Menschen haben einfach keinen Antrieb irgendwas zu machen. Und deshalb sage ich: es ist egal, was du machst, sei einfach stolz darauf, sei glücklich und gehe der Arbeit nach. Und wenn du nicht die Möglichkeit hast dein Hobby zum Beruf zu machen, dann versuche es auf eine andere Art und Weise auszuleben. Entweder als Zuschauer oder du machst bei einem Verein mit, da gibt es genügend Möglichkeiten. Und so kann man sich seinen Alltag ja auch schön gestalten.

Lukas Sandmann
Lukas Sandmann

Wenn ihr ein Musical über euer Leben schreiben könntet, wovon würde es handelt und wie würdet ihr es nennen?

Lukas: In der Schule, in der ich war, mussten wir ja auch schonmal ein eigenes Musical schreiben. Du hattest einen Pianisten und dich selbst. Man konnte sich mit Gitarre begleiten, wenn man wollte, aber es hilft einem halt auch keiner. Man hat keinen Dramaturgen, einfach nichts. Und dann habe ich überlegt, ich würde gerne mal was über mich selbst machen. Ich glaube, mein Musical würde heißen „My Day Parade“ und würde um die Konstellation zwischen mir und meinem Vater gehen. Das ist eine sehr schwierige Konstellation momentan und ich glaube, es würde tatsächlich auch ein offenes Ende werden. Und es wäre Rockmusik!

Felicitas: Ich wurde mal gefragt, wenn ich ein Buch schreiben würde, wie das heißen würde. Mein Buch müsste eigentlich heißen „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“. Das gibt’s aber schon. Der Titel ist also schon belegt, aber eigentlich trifft es das ziemlich genau, weil ich in so vielen Rollen und in so vielen Welten unterwegs bin. Ich glaube, das wäre mal ganz witzig in einer Musicalform zu zeigen wie bekloppt eigentlich mein Alltag ist. Morgens am Schreibtisch zu sitzen, dann abends in die Probe der einen Show zu rennen und am nächsten Tag eine Vorstellung von einer anderen Show zu spielen und teilweise vier bis fünf unterschiedliche Shows in einer Woche. Das heißt in einer Woche kann ich bis zu sieben oder acht verschiedene Menschen sein.

Kurosch: Ich finde ja „Achterbahn des Lebens“ immer schön. Ich finde es immer ganz positiv, dass man sagen kann, man erlebt immer viele glückliche Momente im Leben, aber man hat auch traurige Momente. Aber ich mag diese auch, auch wenn sie schwer sind. Sie prägen einen ja auch. Jede Seite gehört dazu, es ist ein Gesamtes. Ich habe zum Beispiel immer versucht, aus Fehlern zu lernen und ich habe versucht, auch aus den schwierigsten Momenten des Lebens etwas mitzunehmen. Es gibt das Musical „Rent“ (ebenfalls mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet) und da ist ein Zitat „Lebe jeden Tag als wäre es dein Letzter“. Das ist ein sehr, sehr schönes Zitat dem ich gerne folge.

Was ist für euch der perfekte Ausgleich zum stressigen Theateralltag?

Kurosch: Schwimmen! Schwimmen hilft mir unglaublich. Das ist dieses Eintauchen unter Wasser, ich höre da auch nichts mehr wirklich und suche mir immer Zeiten, in denen ich ungestört bin. Schwimmen bereitet mir einen sehr großen Ausgleich. Und Familie und Freunde! Ich bin sehr, sehr gerne mit Menschen unterwegs und versuche es dann auch zu schaffen, nicht über Musical zu sprechen. Menschen machen glücklich! Beieinandersitzen, unterhalten, was Tolles trinken.

Felicitas: mein Ausgleich zum normalen beruflichen Alltag ist ja eigentlich das Theater (lacht). Aber wenn ich harte Probentage oder so hinter mir habe und komme dann nach Hause, dann sitze ich sehr gerne mit meinem Freund auf dem Balkon, die Katze auf dem Schoß. Wir sitzen einfach gemütlich auf dem Balkon und atmen frische Luft. Das hilft total. Das bringt einen total runter und dann erzähle ich, was den ganzen Tag so passiert ist und man tauscht sich aus.

Lukas: Noch bin ich ja nicht so lange in dem Profiberuf, um da tatsächlich schon was gefunden zu haben, was mir da hilft. Meistens beschäftigt mich das noch ein paar Tage länger. Aber manchmal ist es dann wirklich nur die Familie und hauptsächlich meine Freundin. Zusammensitzen, ein Glas Wein trinken, kurz über den Beruf quatschen und dann will ich davon aber auch nichts mehr wissen. Der Probentag ist für mich beendet, wenn ich aus dem Raum raus gehe und das Haus verlasse. Dann ist das Ding auch durch. Dann habe ich auch keine Lust, mich damit noch mehr zu beschäftigen, denn Arbeit ist Arbeit und die hat zuhause nichts zu verlieren. Wenn der Partner wissen will, was heute so los war, dann erzählt man gerne ein paar Minuten darüber, aber ich nehme es nicht gerne mit nach Hause. Manchmal ist es so, dass die Proben sehr anstrengend sind und man nimmt das mental so mit und dann kommst du genervt nach Hause. Das ist auch nicht gut.

Kurosch: Du sagst genau was Richtiges! Wir sprachen heute über ein Wort, das im Stück ziemlich oft vorkommt und das ist „Loslassen“! Man muss auch als Darsteller lernen abzuschließen, das heißt eine Figur wieder loszulassen, den Alltag, den man mit dieser Rolle erlebt hat wieder abzulegen und zu sagen „OK, jetzt bin ich wieder Kurosch, Fee, Lukas und jetzt hat das auch nichts mehr damit zu tun!“. Ich glaube das ist auch ein Erfahrungsschatz den man sammelt. Mir ist es am Anfang der Karriere auch sehr schwer gefallen etwas loszulassen. Ich habe mich da sehr reingesteigert und bin zum Teil um vier oder fünf Uhr morgens erst eingeschlafen, weil mich dann jede Situation des ganzen Abends beschäftigt hat. Irgendwann muss man sich dann mal zwingen und sagen „OK, der Vorhang ist unten. Feierabend. Jetzt bin ich wieder ich“. Welcome to the real life!

Lukas: Bei „Fack Ju Göhte“ hat das gar nicht funktioniert. Ich konnte einfach aus dieser Rolle nicht rauskommen. Diese 8 Show-Woche, ich kam da nicht raus. Irgendwann ging es dann, aber es hat selbst nach der letzten Show noch drei oder vier Tage gedauert bis ich endlich mal wieder ich war. Hier fällt es mir jetzt wesentlich leichter. Du brauchst auch gute Kollegen dazu, die dich dann auch wieder runterholen. Dann setzt man sich abends zusammen hin und dann geht es halt nicht um das Musical. Wenn du da Freunde hast, die dir helfen, ist das immer super. Das macht es einfacher.

Vielen Dank für eure Zeit und das wirklich schöne Interview. Bühnenlichter.de wünscht euch für die berufliche und private Zukunft alles Gute!


09/2019
Interview von Natascha