Die Kulturszene & Corona – Im Gespräch mit Franziska Lißmeier

Das Interview wurde geführt als der zweite Lockdown für die Theater noch nicht spruchreif war und die Theaterwelt gerade wieder etwas Fahrt aufnahm… 

Franziska Lißmeier bei den MUSICAL EVERGREENS am 18. Januar 2020 in Neustadt a. Rgb.

Im Januar und Februar war die Welt noch in Ordnung. Sie waren mit den „Musical Evergreens“, sowie mit CHAPLIN – DAS MUSICAL auf Tournee. Wie hat sich der Moment angefühlt, als eine Show nach der anderen abgesagt werden musste?

Seit Tagen hatten uns immer wieder Nachrichten erreicht, dass bei anderen Produktionen Vorstellungen abgesagt wurden. Tag zuvor waren wir in der Schweiz angekommen und hatten eine Vorstellung gespielt. Wir saßen gerade zusammen bei einer Tasse Kaffee, als uns die Nachricht erreichte, dass wir früher ins Theater kommen sollen. Da war den meisten von uns schon relativ klar, dass es uns nun auch trifft und wir am Abend unsere letzte Vorstellung haben. Diese wollten wir noch einmal in vollen Zügen genießen und hofften, dass das nicht unser letztes Zusammentreffen sein wird.

Wir waren gerade beim Schminken, als uns die nächste Nachricht erreichte, dass wir sofort ins Theater kommen sollten. Dort wurde gerade das fertig aufgebaute Bühnenbild wieder abgebaut. Durch eine kurze Ansprache der Veranstalterin und unserer Tourneeleitung erfuhren wir, dass die Tournee komplett gecancelt wurde. Es ist kaum in Worte zu fassen, wie man sich in diesem Moment wirklich fühlt.

Vielleicht kann man es so formulieren. Der Boden, auf dem man so leidenschaftlich gespielt hat, wird einem sprichwörtlich unter den Füßen weggezogen. Gute 6 Monate konnten Sie nun nicht auf der Bühne stehen.

Wie haben Sie die Phase des Lockdowns und auch die letzten Wochen erlebt?
In der ersten Woche nach meiner plötzlichen Rückreise, habe ich erst einmal wie in Schockstarre gelebt. Ich konnte und wollte einfach nicht begreifen, dass jetzt alles auf unbestimmte Zeit vorbei sein sollte. Die Vorstellung, dass man jeden Moment aus einem Alptraum aufwacht, war schon sehr verlockend. Ich habe jeden Tag auf die positive Nachricht gehofft, dass die Arbeit im kulturellen Bereich wieder aufgenommen werden kann.

Um so länger der Lockdown gedauert hat, um so mehr habe ich mir Sorgen um die Zukunft gemacht. Wie sieht die Zukunft in der Kulturszene aus, welche Veränderungen wird es aufgrund der Corona-Pandemie geben. Hinzu kamen die Existenzängste – Keine Einkünfte mehr, Miete, Versicherungen, laufende Kosten müssen weiterbezahlt werden. In der Kulturbranche ist der Verdienst nicht so hoch, so dass das Ersparte schnell aufgebraucht ist. Auch Aushilfsjobs waren ja leider nicht zu bekommen.

Womit haben Sie sich in dieser Zeit beschäftigt?
Zuerst habe ich all das gemacht, wie wahrscheinlich viele – Schränke ausmisten, Unterlagen sortieren und, und, und … Anschließend habe ich zum Leid oder vielleicht sogar zur Freude meines Freundes, seine Wohnung auf den Kopf gestellt und mir die Zeit mit Renovierungs- / Modernisierungsarbeiten vertrieben. Zu guter Letzt habe ich eine neue Leidenschaft entdeckt, den Anbau von frischen Kräutern, Obst und Gemüse.

Die Kulturszene hat es nach wie vor in der Corona-Pandemie nicht leicht. Sie ist für die Politik nicht systemrelevant. Wie beurteilen Sie die finanziellen Unterstützungen durch die Regierung? Wurden die freischaffenden Künstler*innen vergessen?

Wie auch in manch anderen Bereichen, ist für die Kulturszene, insbesondere für die Live-Szene, die Corona-Pandemie sehr problematisch. „Sie ist für die Politik nicht systemrelevant“ – Mir persönlich fehlt die Wertschätzung gegenüber der Kulturbranche. Warum steht diese bei der Politik als letztes an? Meines Erachtens besteht hier großer Handlungsbedarf, besonders auch bei der staatlichen Hilfe, die leider nicht bei allen freischaffenden Künstler*innen ankommt. Dies fängt leider auch schon mit dem fehlenden Informationsfluss an.

Seit Anfang Oktober dürfen Sie mit CHAPLIN an ausgewählten Standorten wieder auf der Bühne stehen. Hat sich im Probengeschehen und vor allem an der Inszenierung etwas verändert?

Ja, es hat sich einiges im Probengeschehen und an der Inszenierung verändert, nicht nur alleine durch die ganzen Hygienevorschriften, die eingehalten werden mussten. Das Grundgerüst und die Charaktere sind natürlich geblieben. Allerdings musste das Stück aufgrund der Vorgaben auf 1 ½ Stunden gekürzt und wegen des Fehlens zweier Kollegen*innen auch uminszeniert werden. Durch die vorgenommenen Änderungen mussten auch Lösungen für die Umbauten innerhalb des Stückes gefunden werden.

Die Entwicklungen, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen laufen in Deutschland relativ gut. Aktuell gibt es teilweise eher wieder Beschränkungen als Lockerungen, dennoch nimmt das kulturelle Leben in vielen Bereichen wieder Fahrt auf. Gibt es für Sie bereits neue Pläne?

Tatsächlich bin ich relativ kurzfristig wieder in Hamburg im Hoftheater Ottensen untergekommen, wo ich schon in einigen Produktionen gespielt habe. Dieses Jahr steht das Weihnachtsmärchen „STERNTALER“ auf dem Spielplan. Ich hoffe sehr, dass wir ohne Probleme und weitere Einschränkungen durch den Winter kommen.
Alle Daumen sind gedrückt.


Das Weihnachtsmärchen vom Hoftheater Ottensen kann aufgrund des aktuellen Lockdowns nicht aufgeführt werden, aus diesem Grund wurde es aufgezeichnet und steht nun online zur Verfügung.

Aufzeichnung aus dem Hoftheater Ottensen from Axel Decker on Vimeo.


Interview: Anna-Virginia