Die Künstlerszene und Corona – im Gespräch mit Marilyne Bäjen

® Oliver Hummell

 

Anfang März wurden aufgrund von Corona alle Veranstaltungen abgesagt. Wie hast du diesen Moment erlebt?

Ich war gerade auf Tour mit „Musical Highlights“ und habe das Ganze, ehrlich gesagt, anfangs überhaupt nicht ernst genommen. Es waren ja nur Veranstaltungen mit über 1000 Personen, da würden wir schon nicht betroffen sein. Erst als uns das erste Show-Verbot für den 13.3. (die vorletzte Show der Tour) traf, machte man sich langsam Sorgen. Bei unserem letzten Tourblock wussten wir alle nicht, wie viele Shows wir noch spielen werden. Wir hofften, dass wir unsere Dernière der Tour wie geplant am Samstag den 14.3. spielen würden, sie stand aber schon auf der Kippe. Der 13.3. war ja schon abgesagt. Wir wussten bis zum Showbeginn am 12.3. nicht, ob das nun unsere letzte Show sein würde oder nicht. Es war ein ganz komisches Gefühl an diesem Abend auf die Bühne zu gehen, mit dem Wissen, das könnte die letzte Show dieser Tour sein. Ich ging jedoch fest davon aus. Während der Show bekam ich schon mit, dass Österreich kurz vor einem Lockdown stand. Schulen sollten geschlossen werden, alle Konzerthäuser, Theater, Kinos, Musikschulen etc. waren dicht. Mit dem Moment wurde mir bewusst: Das ist echt ernst.

Wir erfuhren erst am darauf folgenden Morgen, dass die letzte Show wirklich gecancelt wurde. Somit packten wir alle unsere Koffer und es ging nach Hause. Und wir wussten alle nicht was kommen wird. Ich war mir sicher, auch bei uns würden sie die Schulen und somit auch die Musikschulen (ich arbeite ja auch als Gesangslehrerin) schließen. Und was dann? Und es kam wie es kommen musste. Zuerst wurden die allgemeinbildenden Schulen und die städtischen Musikschulen geschlossen und kurz darauf auch die privaten Musikschulen. Mit dem Lockdown wurden mir dann auch die ersten Hochzeiten abgesagt, welche einen Großteil meines Einkommens über den Sommer ausmachen. Man steht vor einem riesigen Loch und hat keine Ahnung wie es weitergeht. Wie lange dauert das Ganze? Werde ich weiter Geld bekommen? Scheiß Gefühl!

Wie fühlt es sich an, monatelang zuhause sein zu müssen und nicht arbeiten zu können?

Gott sei Dank habe ich mit meinem Gesangsunterricht ein 2. Standbein aufgebaut und bin nicht ausschließlich von den Jobs als Sängerin abhängig. Jedoch durfte ich auch diesen Job 8 Wochen lang nicht ausführen. Mir blieb nur das Online-Unterrichten via Video-Chat. Aber ganz ehrlich: das ist furchtbar. Der Ton ist verzerrt, es kommt zu Verzögerungen und Aussetzern. Man ist angewiesen auf eine sehr gute Internetverbindung auf beiden Seiten…! Aber ich bin dankbar, dass es diese Alternative für mich gab und ich somit wenigstens einen Teil meiner Schüler weiter unterrichten konnte und ein bisschen was zu tun hatte. Nur zu Hause zu sein und nicht arbeiten zu dürfen ist furchtbar. Ich liebe meinen Job, sowohl auf der Bühne, als auch das Unterrichten. Ich hoffte, bei jeder Pressekonferenz des Bundes und des Landes NRW, dass zumindest der Einzelunterricht wieder erlaubt werden würde. Doch das dauerte eine Weile. Seit dem 4. Mai darf ich nun endlich wieder.

Ganz schlimm war für mich, dass ich eigentlich über meinen Geburtstag, Anfang April, mit meinem Freund ins Disneyland nach Paris fahren wollte. Daraus wurde dann leider nichts und feiern konnte man auch nicht.

Womit beschäftigst du dich?

Ich habe angefangen zu puzzeln, habe Sport gemacht (was ich aber auch ohne Corona regelmäßig mache) und ich habe ehrlich gesagt viel Netflix geguckt. Ich habe versucht mich weitestgehend abzulenken. Zu Beginn habe ich noch intensiv die Nachrichten verfolgt, aber das hat mich irgendwann so bekloppt gemacht, dass ich es gelassen habe. Es gab regelmäßige Videochats mit meiner Familie und meiner besten Freundin.

Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels! Wie sieht dein Licht aus?

Mein Licht wird langsam und stetig wieder heller. Ich darf seit fast 2 Monaten wieder unterrichten, wenn auch unter Hygieneauflagen. Bei mir zu Hause habe ich z.B. einen durchsichtigen Duschvorhang in meinem Unterrichtszimmer installiert, als Schutz. In der Musikschule habe ich z.T. Plexiglaswände, ich muss nach jedem Schüler lüften und desinfizieren. Aber man gewöhnt sich daran und ich bin einfach nur froh, dass ich wieder Face-to-Face unterrichten darf. Mit den neuesten Lockerungen sind nun ja auch wieder Veranstaltungen im privaten Bereich mit bis zu 100 Personen erlaubt, so dass die ersten Hochzeiten auch bald wieder kommen. Leider sind mir da aber mittlerweile bis in den August alle abgesagt, bzw. auf nächstes Jahr verlegt. Ich hoffe nun, dass auch Theater bald wieder normal öffnen können. Corona wird uns noch eine Weile begleiten, aber es müssen Lösungen gefunden werden, um einen einigermaßen normalen Alltag und Umgang damit zu schaffen.

Hat diese Zwangspause auch etwas Gutes gebracht?

Ehrlich gesagt kann ich nicht sagen, dass diese Zwangspause etwas Gutes gebracht hat. Das Einzige wäre vielleicht, dass ich mich nach der Tour „erholen“ konnte. Aber durch diese ungewisse Situation, die doch schon sehr beängstigend war, war das nicht wirklich Erholung für mich. Und wie gesagt, ich arbeite sehr gerne. Ich habe meine Schüler vermisst, ich vermisse die Bühne und auch die Trauungen!

Wie beurteilst du die finanzielle Unterstützung durch die Regierung. Wurden die freischaffenden Künstler vergessen?

Welche finanzielle Unterstützung?? Ganz ehrlich, das ist doch alles ein Witz. Es wurden ach so tolle Hilfen versprochen und auch die Freischaffenden sollten nicht auf der Strecke bleiben. Sind sie aber! Zunächst gab es die Künstler-Soforthilfe mit bis zu 2.000 €, welche ich sofort beantragt habe. Sie sollte Honorarausfälle ausgleichen. Danach kam die Soforthilfe NRW, mit bis zu 9.000€ für Soloselbstständige. Da ich von der ersten Hilfe nach 3 Wochen immer noch nichts gehört hatte und es hieß, dass man mit der Soforthilfe NRW auch seinen Lebensunterhalt finanzieren darf, habe ich diese ebenfalls beantragt. Einen Tag später hatte ich die Bewilligung im Mail-Postfach. Die Erleichterung war riesig, die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Drei Tage später hieß es dann, dass ausschließlich Betriebskosten, welche in den drei Monaten des Bewilligungszeitraums entstehen, davon bezahlt werden dürfen. Als Soloselbstständiger/Freiberufler hat man aber so gut wie KEINE laufenden Betriebskosten.

Ich habe also, wie sehr viele andere auch, Geld bekommen, das ich nicht nutzen darf/kann! Man solle doch Hartz IV beantragen, das Antragsverfahren wäre ja nun auch vereinfacht und die Vermögensprüfung ausgesetzt. Was nicht ausgesetzt wurde: Lebst du in einer eheähnlichen Gemeinschaft (Bedarfsgemeinschaft), so hat dein Lebenspartner deine Kosten zu tragen, so er denn arbeitet. Zumal der Antrag alles andere als vereinfacht und reihenweise abgelehnt wurde. Für Außenstehende sah das alles sicher so aus, als wären da superschnelle und tolle Hilfen geflossen. In Wahrheit konnten die meisten von uns da überhaupt nichts mit anfangen. Das meiste muss wieder zurücküberwiesen werden. Wir wurden da leider komplett im Stich gelassen und verarscht. Hätte ich nicht mehrere Jobs als Gesangslehrerin, an Musikschulen und privat, sähe es bei mir wohl mittlerweile echt düster aus.

Update von Marilyne kurz vor Veröffentlichung des Interviews:
Mittlerweile habe ich die E-Mail zur Ermittlung des Liquiditätsengpasses erhalten. Wie sich herausstellt darf ich nun nicht mal meine Betriebskosten von der Soforthilfe zahlen, denn ich muss meine Einnahmen (mit denen ich nicht mal komplett meine Lebenshaltungskosten decken konnte) gegen meine geringen Betriebskosten rechnen – ohne vorher die Lebenshaltungskosten von meinen Einnahmen abziehen zu dürfen. Somit heißt es: du hast doch Einnahmen gehabt, damit kannst du doch die Betriebskosten decken! Man wird also komplett im Regen stehen gelassen. Meine Haupteinnahmequelle im Sommer sind, wie schon erwähnt, Hochzeiten. Durch die Pandemie sind mir aber bis in den August alle abgesagt. Zusätzlich haben die Musikschulen auch Sommerferien und nicht alle zahlen durch. Von der Situation an den Bühnen mal ganz abgesehen. Wo bitte ist da die Hilfe? Man liest überall wieviel Geld schon über die Soforthilfe ausgezahlt wurde und wie toll man doch helfe… Wieviel von dem Geld aber schon wieder zurückgekommen ist, weil man es eigentlich gar nicht nutzen darf (nicht, weil man es nicht braucht), dass macht man natürlich nicht öffentlich! Ich hoffe sehr, dass wir das alles mehr oder weniger unbeschadet überstehen, die Theater bald wieder vernünftig öffnen dürfen und es keine 2. Welle gibt!


Interview von Natascha