Andreas Lichtenberger im Interview

Über Rollen, die Stadt Hameln und die Kunst der Travestie

Anna Thorén & Andreas Lichtenberger in Stuttgart, TARZAN

Andreas Lichtenberger ist deutscher Schauspieler und Musicaldarsteller. Zu seinen Engagements zählten bereits Produktionen wie “Mamma Mia”, “Der Mann von La Mancha”, “Hairspray” oder “Ich war noch niemals in New York”. 2016 konnte man Lichtenberger gleich in mehrern großen Rollen bewundern. So stand er u.a. in Stuttgart als Kerchak in Disneys Tarzan auf der Bühne. Er tauschte Liane gegen Holzbein und entführte das Hamelner Publikum in die Piratenwelt als Long John Silver. Aktuell ist Andreas Lichtenberger als Zaza in “Ein Käfig voller Narren” und als Don Camillo in “Don Camillo & Peppone” zu sehen. Letzteres spielt noch bis zum 31.12.2016 am Theater St. Gallen, bevor es dann ab dem 27.01.2017 im Ronacher in Wien zu erleben ist.


Wie bist Du zu deinem Berufswunsch Musicaldarsteller zu werden gekommen?

Ich habe eine Schauspielausbildung gemacht und immer schon gesungen. Als ich nach sechs Jahren Staatstheater Stuttgart feststellen musste, dass beim Schauspiel nicht so viel gesungen wird wie ich es mir eigentlich erhoffte bewarb ich mich für 42nd Street und wurde genommen. Seitdem mache ich Musical. Der Satz mit dem ich mich damals erstmalig bei der Stage Entertainment meldete war: „Hallo, mein Name ist Andreas Lichtenberger, ich bin Schauspieler, ich singe gern und tanze nie, soll ich kommen?“ 😀

Worin liegt für Dich der besondere Reiz an deinem Beruf?

Wir versuchen jedes Mal den Zuschauer in eine Welt zu entführen und ihm eine Geschichte zu erzählen. Das kann eine lustige Geschichte ebenso sein wie etwas das zum Nachdenken oder Mitleiden anregt. Am Ende zeigt uns das Publikum wie gut uns das gelungen ist. Bei jeder Vorstellung, sich um jeden einzelnen Zuschauer, seine Aufmerksamkeit, seine Lust, Trauer, Freude und sein Lachen zu bemühen, das ist der besondere Reiz und die Aufgabe unseres Berufes.

Deine musikalische Vita ist lang. Welche Rolle hast Du bisher am liebsten gespielt?

Der Mann von La Mancha ist ein besonderes Stück, weil darin in einem speziell poetischen und philosophischen Ansatz nicht nur über das Leben an sich, sondern auch unseren Beruf im Besonderen erzählt wird. Es kann alles was Theater vermag! Es generiert Weinen, Lachen, macht nachdenklich und auch glücklich.

Und welches Musical/ welche Rolle möchtest Du noch unbedingt spielen?

Javert aus Les Miserable und Sweeny Todd stehen mit ganz oben auf meiner Liste, ebenso wie vermeintlich kleinere Rollen, denen ich aber große Sympathie und Bedeutung zumesse wie z.B. Mister Banks aus Mary Poppins. In den letzten Jahren habe ich immer wieder Uraufführungen verkörpern dürfen und hoffe, diese spezielle Disziplin meines Berufes auch noch oft bedienen zu dürfen, insofern freue ich mich auf Rollen, die es jetzt noch gar nicht gibt, die mich aber bestimmt finden werden.

Die Schatzinsel: Wie haben die “neuen” Piratengeschichten, sprich Fluch der Karibik, die Darstellungen und das Bild der Schatzinsel beeinflusst?

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Andreas Lichtenberger bei der Premierenfeier, Die Schatzinsel Hameln 2016

Diese Filmreihe hat natürlich riesige Erfolge gefeiert und Johnny Depp hat mit Jack Sparrow einen wunderbaren Typen kreiert. Seine Vorlagen dazu waren allerdings quasi dieselben Geschichten, Bilder und Darstellungen die eh und je alle beeinflussten die Piratengeschichten erzählten. Man kann also davon ausgehen, dass Johnny Depp sich auch mit der Schatzinsel intensiv beschäftigte als er seinen Jack schuf, also müsste man die Frage eigentlich umdrehen Aber zweifelsohne hat der Fluch der Karibik Erfolg auch dazu beigetragen, dass unsere Schatzinsel so hervorragend vom Publikum besucht und angenommen wurde. Piratengeschichten werden offensichtlich nie ganz aus der Mode kommen

Die Spielzeit in Hameln war kurz. Trotzdem die Frage: Was nimmst Du an Erinnerungen aus Hameln mit?

Die Freundlichkeit der Hamelner, sowohl im Theater, als auch in der Stadt, wenn man durch die Geschäfte bummelte. Und natürlich das einmalige Stadtbild. Ich hab mich gewundert, dass nicht jeden Tag irgendwo ein Historienfilm in Hameln gedreht wird, bei solch einer wunderbaren Architekturkulisse und Landschaft.

In St. Gallen läuft parallel „Don Camillo & Peppone“. Was ist das Besondere an diesem Musical?

Es gibt ja viele Musicals mit Romanvorlagen. In diesem Fall gab es 200 Kurzgeschichten, die Guareschi über Don Camillo und Peppone schrieb, außerdem 5 Filme. Daraus musste ein einzelner Abend entstehen, nicht länger als drei Stunden. Michael Kunze musste also das Kunststück vollbringen aus einer riesigen Menge an Material eine! Geschichte zu machen. Hierfür verknüpfte er einige der Kurzgeschichten anders als in den Filmen, wobei er neue verbindende Szenen schrieb. Er veränderte auch Figuren und schuf dabei sogar eine ganz neu: die alte Gina, die quasi durch den Abend hindurch, die Geschichte des Dorfes ihrer Jugend erzählt.

Dario Farina, ein äußerst renommierter Komponist gibt mit Don Camillo sein Musical Debüt. Es ist wunderbar, weil er einerseits den italienischen Hintergrund hat und somit den Stil der heimischen Volksmusik ebenso nutzen kann wie andererseits die große Oper, aber zugleich alles in einen eigenen Stil integriert. Außerdem hat er unglaublich viele, schöne Melodien im Kopf, ohne diese ständig zu wiederholen. Das Stück bietet immer wieder musikalische Kleinode, die kurz auftauchen, das Publikum beglücken und dann wieder verschwinden. Wir schwelgen sozusagen im Melodienluxus! Unbedingt erwähnen muss man auch die Orchestrierung und die Arrangements von Koen Schoots. Sie verleihen diesem Musical seine unverkennbare musikalische Signatur und Farbe.

Außerdem haben wir hier ein wirkliches Ensemble-Stück. Das Ensemble dient nicht allein für Massen- und Tanzszenen, sondern hat wirklich erzählerische Funktion und bedient immer wieder wichtige Rollenfunktionen. Don Camillo&Peppone ist absolutes Teamwork.

Die Filme haben Kult-Status. Gab es Bedenken diese als Musical umzusetzen?

Das müsste man Michael und Dario fragen. Als wir engagiert wurden bekamen wir ein fertiges Stück in die Hand und hatten einen vorgeschriebenen Premierentermin. Da gilt es dann aus dem vorhandenen Material, gemeinsam mit Regisseur, Choreograph, musikalischem Leiter, Bühnenbild und Kostüm&Maske das Optimum herauszuholen.

Ich selbst habe mir die Filme bereits im Auditionvorfeld wieder angesehen und auch danach nochmal. Ich liebe Fernandel und seinen Camillo und hätte mir nie angemaßt ihn kopieren zu können oder zu wollen. Ich musste meinen eigenen Hochwürden entdecken und erzählen, aber natürlich ist mir das Original dauerpräsent im Hinterkopf.

Zum Abschluss noch eine Frage zu deiner dritten Rolle, die Dich dieses Jahr begleitet hat. Was ist die besondere Herausforderung/ der Reiz die Rolle des „Zaza“ zu verkörpern?

Der Welt-Hit „Ich bin, was ich bin“ war für die Audition Vorgabe zu singen. Irgendwie ist es mir nie passiert dieses Lied einmal vorgetragen zu haben. Das wollte ich ändern, drum fuhr ich nach Magdeburg. Ich finde diesen Song ungeheuer aussagekräftig und allgemein gültig, für jeden einzelnen von uns. Die Botschaft betrifft uns alle, egal wo wir in der Gesellschaft positioniert sind . Wir alle sollten das Grundrecht haben, auf unsere Individualität zu pochen und zu verweisen. Natürlich ist Zaza eine Ausnahmepersönlichkeit der besonderen Art, deshalb aber minder gewertet zu werden, darf aber nicht sein. Für mich als heterosexueller Mann ist das Tolle natürlich auch die Travestiekunst zu entdecken. Mithilfe von Make up und traumhafter Roben die Weiblichkeit darzustellen ist für mich neu und aufregend. Ich habe zwar als Edna in Hairspray bereits in dieses Fach geschnuppert, doch ist Zaza eine völlig andere und unvergleichliche Rollenerfahrung. Der Grad zwischen Unterhaltung und der Bitterkeit, der Ungerechtigkeit des Lebens ist so schmal und es vergeht keine Vorstellung, wo ich nicht selbst meine Momente habe und vom Thema des Stückes überwältigt werde. Es ist grandiose Unterhaltung, mit einer tief ins Herz gehenden Dramatik, der man sich eigentlich, wenn man auch nur ein bisschen Herz hat, nicht entziehen kann.

Wir danken Andreas Lichtenberger für das Interview und wünschen ihm auch für die Zukunft nur das Beste!


Interview von Anna-Virginia